Karl-Heim-Preis 2005/2006


Karl-Heim-Preis 2005/2006 verliehen
Der diesjährige Empfänger des mit 1000,- Euro dotierten Karl-Heim-Preises ist der Theologe und Diplomphysiker Dr. Ulrich Beuttler (Simmozheim) für seine Dissertation ,,Gottesgewissheit in der relativen Welt - Karl Heims naturphilosophische und erkenntnistheoretische und Reflexion des Glaubens''. Die preisgekrönte Arbeit interpretiert Karl Heims Naturphilosophie und Erkenntnistheorie im philosophischen und naturwissenschaftlichen Kontext seiner Zeit und aktualisiert sie angesichts heutiger Fragestellungen. Mit Beuttlers Arbeit wird ein wichtiger Grundlagenbeitrag für den Dialog zwischen Naturwissenschaft und christlichem Glauben insbesondere hinsichtlich der akuten Frage nach einem freien Handeln Gottes geleistet.

Die Dissertation wurde 2005 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angenommen. Die Preisverleihung wird im Rahmen der Jahrestagung zu Albert Einstein und der Religion vom 27.-29. Oktober 2006 in Bad Urach stattfinden. Der Karl-Heim-Preis wird von der Karl-Heim-Gesellschaft (www.karl-heim-gesellschaft.de) zweijährlich für herausragende Dissertationen oder Habilitationen im Spannungsfeld von Naturwissenschaft und christlichem Glauben vergeben.

Zusammenfassung der Dissertation

A 1. Das Denken Heims hat zwei Pole, deren Verschränkung bisher nicht beachtet wurde. Das erkenntnistheoretische Problem der Vergewisserung der irrational-positiv gegebenen Glaubens durch das rationale Denken und die Suche nach einem theologisch und naturphilosophisch vertretbaren Weltbegriff sind verbunden, weil die Gewissheit und das Weltbild des Glaubens vom naturwissenschaftlichen Weltbild bestärkt oder in Frage gestellt wird. Heim betreibt daher statt reaktiver Abgrenzung und Isolierung des Glaubens vom Wissen aktive Apologetik gegen naturwissenschaftlichen Relativismus, Skeptizismus und Positivismus einerseits und gegen hermeneutischen Naturalismus (Wetz) andererseits durch Ausbildung einer eigenen theologischen Erkenntnistheorie und Naturphilosophie.

2. Einen Weltbegriff gewinnt Heim via phänomenologischer Metaphysik aus der polaren Welterfahrung unter Voraussetzung der in Gott bestehenden Einheit der Welt. Physik ist im Sinne Heims nur möglich auf dem Hintergrund der negativen Theologie (Weizsäcker). Seine Metaphysik ist weder unkritisch-spekulative Deduktion des Vielen aus dem Einen noch Überstieg des Vielen auf das Eine hin (Pannenberg), sondern induktiv. Der primäre Weltbegriff ist weder der (sekundäre) naturwissenschaftlich-positivistische, noch der transzendental-kritizistische, sondern der natürliche Weltbegriff (Avenarius) der praktischen Realismus. Was die Welt ist, erschließt sich aus ihrer natürlichen Erfahrung und Beobachtung.

3. Erkenntnistheoretisches Grundgesetz (und Grund der Erfahrungsgewissheit) ist das Gesetz der Perspektive als Einheit von (ungegenständlichem) Subjekt und (gegenständlichem) Objekt der Welterfahrung. Das erkenntnistheoretische Subjekt bestimmt Heim über Kant hinaus als das die Erfahrung in der Zeit vollziehende Zentrum, mithin als Zeitbewusstsein. Welterfahrung resultiert aus zwei irreduziblen, aber nicht unverbundenen Modi der Erfahrung: Erleben und Erkennen, welche die Subjekt-Objekt-Einheit bzw. ihre Differenz gemäß dem Gesetz der Perspektive widerspiegeln. In Heims scotistischer, zweiliniger Erkenntnistheorie stehen Erleben und Erkennen resp. Erfahren und Wissen bzw. Glauben und Denken im (durch das Zeitbewusstsein) vermittelten Verhältnis.

4. Die Relation von Erkenntnis-Subjekt und -Objekt in der Zeit konstituiert die erfahrene Welt als Relationensystem in der Zeit. Naturphilosophische Grundbegriffe sind Relation und Zeit. Die Welt ist ein System von polaren Verhältnissen, die durch grundlose und theoretisch unerklärliche Willens-Entscheidungen realisiert werden. Wille, Perspektivität und Polarität der Relationen, Dimensionen und Räume im dynamisch-zeitlichen Vollzug erlauben per Analogielehre die Denkbarkeit von Immanenz und Transzendenz des Wirkens Gottes in der Welt. Heims dimensionale Analogielehre, welche die polaren Räume der Welt und den unpolaren Raum Gottes in ein attributiv-intrinsisch und dynamisch-akthaftes Verhältnis setzt, kann gegen unkritische Analogia entis oder univoken, geschlossenen Seinsbegriff (mit G. Günther), aber auch gegen Whiteheads Polarität Gottes abgegrenzt werden.

B. Karl Heims Antwort auf die Hauptfrage theologischer Naturphilosophie: Wie muss die erfahrene Welt und ihr Verhältnis zu Gott gedacht werden, damit vom Wirken Gottes in der Welt die Rede sein kann, kann wie folgt systematisiert und heute verantwortet werden.

2. Offener Weltbegriff

Notwendige (nicht hinreichende) Bedingung, das freie Wirken Gottes zu denken, ist ein sog. offener Weltbegriff. Der nomologische Weltzusammenhang ist kein alleinziger, deterministisch-geschlossener Kausalnexus, sondern erlaubt (im Rahmen der Naturordnung) Kontingenz und Neues. Theologisch ist aber weder der statistische Kausalitätsbegriff der Quantenmechanik noch der offene Systembegriff der Synergetik zureichend, weil die offenen Möglichkeiten Gottes nicht aus den Möglichkeiten der Welt, sondern ex nihilo, d.h. aus Gott resultieren. Die Welt als creatio continua ex nihilo erfordert nicht nur Lücken oder offene Ränder, sondern offene Dimensionen im Inneren, im Zentrum der Welt.

3. Zeit

Die Zeit ist phänomenologisch eine Modalstruktur aus irreduziblen Dimensionen. Der Modus Vergangenheit ist der geschlossene Raum des Faktischen und Definitiven, die Gegenwart die Dimension des primären Werdens (K. Heim), die Zukunft der offene Raum der Möglichkeiten.

Die gegliederte Modalzeit überwindet die zeitlose Zeit der newtonschen und einsteinschen Physik hin zur irreversiblen, erfahrenen Wirk-Zeit.

Theologisch kann die offene Zeit als Ort des unverfügbar-schöpferischen Wirkens Gottes gedeutet werden: die Ausdehnung der Gegenwart erlaubt die kairologische Realpräsenz von Sinn, so dass Gegenwart die ?zeitliche Dimension der Ewigkeit? (Heim) darstellt; die Zukunft ist die ?Quelle? der offenen Möglichkeiten, deren Schöpfer und Quelle Gott ist; die Einheit und Ganzheit der Zeit besteht in Gott als letztem Sinn der Zeit.

4. Kontingenz und Naturgesetz

Die konkreten Ereignisse verhalten sich zum nomologischen Kausalzusammenhang wie Kontingenz und Naturgesetz (Pannenberg): Im deduktiv-nomologischen-Erklärungsschema kommt der Gesetzesaussage der modallogische Status des Möglichen, den kontingenten Anfangsbedingungen der Status des Wirklichen zu. Die Naturgesetze ermöglichen die kontingenten Ereignisse, sie legen sie nicht fest.

Die Kausalgesetze gelten nur im Raum der Vergangenheit mit Notwendigkeit, und zwar für die rückblickende Kausalerklärung und die Möglichkeit der Objektivierbarkeit zukünftiger Ereignisse. Sie sind notwendige Bedingungen objektiver Naturerfahrung. Die Ereignisse und die Gesetzesstrukturen selbst sind nicht (natur-)notwendig, sondern absolut kontingent von der Zukunft her und relativ kontingent von der bisher erfahrenen nomologischen Weltstruktur her. Die kontingenten Naturgesetze realisieren sich erst aus den kontingenten Ereignisse als ihr Zusammenhang.

Allem natürlichem Geschehen eignet (relativ) geregelte Gleichförmigkeit und generelle Kontingenz, so dass das freie Handeln Gottes und seine Anknüpfung am Naturgeschehen zusammen denkbar sind.

5. Materie

Die primären Bestandteile der Welt sind nicht zeitüberdauernde bzw. zeitlose Entitäten wie Naturgesetze oder atomare Teilchen, sondern die Ereignisse in der Zeit. Jedes Ereignis steht in vielfachem Ereigniszusammenhang: es ist auf seine eigene und fremde Vergangenheit bezogen, aus der es sich konstituiert, und auf eigene und fremde Zukunft, auf die hin es offen ist. Elementar ist nicht Atom, sondern Selbst und Prozess. Zur einheitlichen Beschreibung der Wirklichkeit scheint es sinnvoll, den höchsten Komplexitätsgrad als elementar anzusehen, also Substanz wesentlich [als] Subjekt (Hegel) zu begreifen, d.h. als Selbst mit Innen- und Außenstruktur. Ich kann nicht aus Es konstruiert werden, aber Es aus Ich reduziert werden. Der Komplexitätsaufbau geschieht nicht bottom-up vom Teil zum Ganzen, sondern top-down vom Ganzen zum Teil. Die top-down-Kausalität ist kreativ, weil sie (wie das Wirken Gottes) Ganzheiten generiert.

Jedoch bleibt die Kreativität als gestaltende Kraft im Prozess immer transzendent. Der Grund des Weltgeschehens lässt sich in raumzeitlich-materiellen Kategorien nicht fassen.

6. Immanente Transzendenz Gottes

Die Transzendenz Gottes ist räumlich und zeitlich als Innen der Welt zu denken. Gott ist nicht vor, über oder nach aller Schöpfung, sondern in, mit und unter aller Schöpfung. Gott ist nicht vor-, über-, oder nachzeitlich gegenüber der Schöpfungszeit, sondern die Tiefendimension der Zeit. Das naturgesetzliche Werden ist mit dem Werden aus Gott unanschaulich identisch. Der Kontingenz der Welt verstanden als Ereignis- und Gesetzeskontingenz eignet von innen, d.h. in und aus Gott Notwendigkeit und Finalität.

Gott als Innen des Weltgeschehens zu begreifen, ist sowohl gegen den deterministischen Deismus als auch gegen den evolutionären Pantheismus gerichtet.