Karl-Heim-Preis 2015/2016


Karl-Heim-Preis 2015/2016 verliehen
Der diesjährige Empfänger des mit 1000,- Euro dotierten Karl-Heim-Preises ist der Theologe Dr. Thomas Weiß.


Zusammenfassung der Habilitationsschrift

Die interdisziplinär angelegte Studie geht der Frage nach, ob Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe zum Thema Schöpfung und Evolution fachspezifisch und fachübergreifend argumentieren können.

Beim Argumentieren handelt es sich um eine kommunikative Tätigkeit, die einzelne Meinungen und Entscheidungen begründen bzw. rechtfertigen kann. In der fachdidaktischen Forschung ist das Argumentieren eine zentrale Fähigkeit, um mündig und selbstbestimmt an gesellschaftlichen Diskursen teilnehmen zu können. Schulischer Unterricht hätte somit u.a. die Aufgabe, diese Fähigkeit im Dialog zwischen den einzelnen schulischen Fächern zu fördern. Während in der naturwissenschaftsdidaktischen Forschung das Argumentieren ein Konstrukt ist, welches theoretisch fundiert und durch empirische Untersuchungen operationalisiert ist, fehlt eine solche Grundlagenforschung in der Religionspädagogik (vgl. dazu aber die Dissertation zur Argumentationskompetenz von Schwarzkopf, Dortmund, i.D.).

Die gesamte Studie ist in vier Teile gegliedert.

Der erste Teil präsentiert fachwissenschaftliche Positionen zu Schöpfung und Evolution in Form von Leitideen und setzt diese in Bezug zu den Anforderungen gymnasialen Oberstufenunterrichts in den Fächern evangelische Religion und Biologie.

Im zweiten Teil erfolgt eine kritische Reflexion der Typologie von Argumentationsmustern nach Kienpointner sowie der dafür relevanten pragmatischen Präsuppositionstheorie. Diese Typologie geht von drei Großklassen aus:

  1. Argumentationsmuster, die die Schlussregel benutzen (z.B. Kausalmuster),
  2. Argumentationsmuster, die die Schlussregel etablieren (z.B. induktives Beispielmuster),
  3. Argumentationsmuster, die die Schlussregel weder benutzt noch etabliert sondern diese beispielsweise illustrieren (illustrierendes Beispielmuster).

Aus diesen drei Großklassen lassen sich nach Kienpointner insgesamt 22 Subklassen von Argumentationsmustern ableiten. Diese eignen sich für eine Identifizierung fachspezifischer und fachübergreifender Schülerargumentationen, weil die Muster selbst kontextabstrakt sind und deshalb auf verschiedene Fachkontexte angewendet werden können. Durch die Unterscheidung in die Großklassen ist zugleich eine Klassifikation der jeweiligen Verwendung der Schlussregel in einer Argumentation möglich.

Des Weiteren werden in diesem Teil qualitative sozialwissenschaftliche Methoden zur Erhebung und Auswertung von Daten diskutiert. Als Ergebnis wird gezeigt, weshalb sich die formale Strukturierung (Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring) methodisch für die Studie am besten zur Auswertung von Schülerargumentationen eignet. Die Typologie von Argumentationsmustern und die formale Strukturierung sind abschließend aufeinander bezogen, indem an zwei Lehrbuchtexten (Religion Oberstufe; Linder Biologie Gesamtband Oberstufe) und einem Schülertext die Tauglichkeit des theoretischen und methodischen Konstruktes überprüft wird (Pilotstudie).

In einem dritten Teil wird die Erarbeitung und Optimierung des für die Hauptstudie erforderlichen Schülerimpulses vorgestellt. Dieser besteht aus zwei Varianten: Schöpfung (Impuls A) und Evolutionstheorie (Impuls B). Die Schülerinnen und Schüler wurden in A aufgefordert, die Rolle eines Theologen einzunehmen und Schöpfung angesichts der Evolutionstheorie argumentativ zu vertreten, indem sie schriftlich eine Rede im Umfang von drei bis fünf A4-Seiten verfassen - vice versa für B. Erhoben wurde in der Jahrgangsstufe 11 (Gymnasium, Bundesland Berlin) und in der Jahrgangsstufe 13 (Gymnasium, Bundesland Brandenburg). Die erhobenen Daten (n=48) dieser qualitativen Studie sind auf zwei Ebenen ausgewertet:

  1. Zusammenhang zwischen fachspezifisch und fachübergreifend: Welche Argumentationsmuster lassen sich bei Schülerinnen und Schülern fachspezifisch/fachübergreifend in Bezug auf die Thematik Schöpfung und Evolution identifizieren?
  2. Zusammenhang zwischen Verwendung von Argumentationsmustern und Inhalt: Lässt sich ein Zusammenhang zwischen der Verwendung von Argumentationsmustern und theologischem/biologischem Inhalt bei den untersuchten Schülerinnen und Schülern feststellen?

Im Ergebnis zeigt sich hinsichtlich des Zusammenhangs von fachspezifisch und fachübergreifend, dass die untersuchten Schülerinnen und Schüler zum Argumentieren Muster aus der Typologie verwenden. Insgesamt konnten elf der 22 kontextabstrakten Argumentationsmuster identifiziert und mit entsprechenden Ankerbeispielen sicher belegt werden, beispielsweise das Kausalitätsmuster, Vergleichsmuster und solche des induktiven und illustrierenden Beispiels. Diese Muster wurden von den Schülerinnen und Schülern fachspezifisch aber auch eine fachübergreifend verwendet. Weitere vier Muster, wie z.B. das Analogiemuster, sind zumindest bei einigen der untersuchten Schülerinnen und Schüler zu identifizieren. Auf der Auswertungsebene Verwendung von Argumentationsmustern und Inhalt sind vier Kernbereiche auszumachen, etwa die Frage nach Wahrheit, Dialogfähigkeit, aber auch Aussagekraft evolutionstheoretischer oder schöpfungstheologischer Aussagen. Hier zeigt sich deutlich, dass Schülerinnen und Schüler kognitive Konflikte zum Gegenstandspaar Schöpfung und Evolution durch Vermischung von naturwissenschaftlichen und theologischen Aussagen lösen wollen. Über die Fähigkeit, einen Dialog anzustrengen, in welchem die wechselseitige Abgrenzung beider Weltmodi berücksichtigt wird, scheint die Schülerschaft (mit Ausnahmen) nicht zu verfügen.

Der vierte Teil reflektiert auf das noch junge religionspädagogische Programm einer Jugendtheologie. Der argumentationstheoretische Ausgangspunkt der Studie - Argumentieren ist eine kommunikative Tätigkeit - wird aufgenommen und mit den empirisch gewonnenen Ergebnissen in ein Verhältnis gesetzt. Im Gegensatz zum Ansatz von Schlag/Schweitzer wird nicht von einer Theologie der, mit, für Jugendliche(n) ausgegangen, sondern von einer Tätigkeit, dem Theologisieren von, mit und für Jugendliche(n). Die von den untersuchten Schülerinnen und Schülern hervorgebrachten Argumentationen zum Thema Schöpfung und Evolution sind ein Beleg für ein solches Theologisieren von Jugendlichen. Mittels empirischer Methodik konnten Erkenntnisse über ein eigenständiges theologisches Nachdenken von Jugendlichen gewonnen werden, was ebenso für ein eigenständiges Nachdenken zur naturwissenschaftlichen Theorie der Evolution festgehalten werden kann. Weil die schriftlich verfassten argumentativen Reden der Schülerinnen und Schüler in der Auswertung einer Reflexion/Interpretation unterzogen wurden, wird zugleich ein möglicher Ansatz eines Theologisierens für Jugendliche demonstriert; zumindest dann, wenn (mit Dieterich) von der Konfrontation zwischen den Aussagen der Jugendlichen und unterschiedlichen religiösen/naturwissenschaftlichen Fremdpositionen ausgegangen wird. Dabei ist diese Demonstration nur in der Hinsicht möglich, dass problematisiert werden kann, mit welchen inhaltlichen Stärken und Schwächen gerechnet werden sollte, wenn Schülerinnen und Schüler zum Thema Schöpfung und Evolution argumentieren. Die klare Grenze der Studie besteht darin, dass für ein Theologisieren mit Jugendlichen keine empirisch erfassten Einblicke gewährt werden können, da dieses Programm nur mittels didaktischer Unterrichtskonzepte einzulösen wäre. In Orientierung an der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler, unter Verwendung theologischer Systeme und dem bewussten Einüben theologischen Argumentierens liegt die Möglichkeit, ein Theologisieren mit der Schülerschaft im Unterricht zu erproben. Dieser Prozess kann und sollte sich (auch) im Dialog mit den Naturwissenschaften bewegen. Inwiefern der Religionsunterricht an der öffentlichen Schule dazu in der Lage ist, muss an dieser Stelle offen bleiben.

An der Entstehung und Umsetzung des Gesamtprojektes - dies sei abschließend erwähnt - waren von Seiten der Biologiedidaktik das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN Kiel), sowie die Didaktik der Biologie der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam, von Seiten der Religionspädagogik das Institut für Religionspädagogik der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien beteiligt.

Die Studie wurde als Habilitationsschrift im Mai 2014 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät angenommen. Nach Begutachtung durch die Herausgeber wird sie in der Reihe Arbeiten zur Religionspädagogik von V&R unipress veröffentlicht (Print- und Open Access-Ausgabe). Als Erscheinungsdatum ist April 2016 vorgesehen.