Karl-Heim-Preis 2007/2008


Karl-Heim-Preis 2007/2008 verliehen
Der diesjährige Empfänger des mit 1000,- Euro dotierten Karl-Heim-Preises ist der Theologe Dr. Marco Hofheinz. Der aus Siegen stammende und als Wissenschaftlicher Assistent in Bern am Institut für Systematische Theologie forschende und lehrende Theologe erhielt den Preis für seine Dissertation "Gezeugt, nicht gemacht. Zur theologischen Wahrnehmung der In-vitro-Fertilisation im Rahmen einer Ethik der Geschöpflichkeit". Die mehrfach preisgekrönte Arbeit ist einem der Schlüsselprobleme der heutigen Lebenswissenschaften gewidmet, der In-vitro-Fertilisation. Ganz im Unterschied zu den Hauptströmungen der heutigen Bioethik arbeitet M. Hofheinz eine dezidiert theologisch-ethische Argumentation hierzu aus. Sein Entwurf einer "Ethik der Geschöpflichkeit" verbindet und kontrastiert genuin theologische und philosophische Positionen. Er greift nicht nur Fragen der Anthropologie auf, sondern bezieht ausdrücklich trinitätstheologische, christologische und ekklesiologische Aspekte ein und verbindet sie zu einem eigenständigen Ansatz einer integralen theologischen Urteilsbildung und biomedizinethischen Positionsbestimmung.

Die Dissertation wurde im Wintersemester 2006/07 an der Universität Bern angenommen und im September 2007 mit dem Eduard-Adolf-Stein-Preis für die beste Dissertation und Habilitation an der Theologischen Fakultät im Zeitraum vom Wintersemester 2004/05 bis Ende Wintersemester 2006/07 ausgezeichnet. Die Verleihung des Karl-Heim-Preises wird im Rahmen der Jubiläumsjahrestagung (50. Todestag Karl Heims) vom 31. Oktober bis 2. November 2008 in Bad Urach stattfinden. Der Karl-Heim-Preis wird von der Karl-Heim-Gesellschaft (www.karl-heim-gesellschaft.de) zweijährlich für herausragende Dissertationen oder Habilitationen im Spannungsfeld von Naturwissenschaft und christlichem Glauben vergeben.

Zusammenfassung der Dissertation

Vor fast 30 Jahren kam das erste "Retortenbaby" zur Welt. Seitdem hat sich die ethische Diskussion um die In-vitro-Fertilisation kaum beruhigt. Während sie für die einen längst zum medizinischen Alltag geworden ist, sehen andere in ihr die Wurzel allen biomedizinischen Übels. Haben wir mit der Einführung der IVF den Rubikon überschritten? Damit ist nach der vorliegenden Untersuchung die Frage nach den Grenzen legitimen menschlichen Handelns gestellt. Sie wird in christlich-theologischer Perspektive auf das schöpferische Handeln Gottes in Christus bezogen und im Referenzrahmen einer wahrnehmungsorientierten, christologisch pointierten Ethik der Geschöpflichkeit zu beantworten versucht.

Mit dem christologisch erlernten und geschulten Blick umkreist die projektierte Ethik das Phänomen der IVF und nimmt es im Horizont des Christusgeschehens, konkret: der Erwählung, des Kreuzes und der Auferstehung Christi als problematisch wahr.

a) Kreuzestheologische Wahrnehmung der IVF: Sensibilisierung für ihren selektiven Charakter

Was die Wahrnehmung des Menschseins betrifft, so wird davon ausgegangen: Was es bedeutet Mensch zu sein, ist vom Menschsein Jesu Christi her zu lesen. In Jesus Christus begegnet uns der Mensch, in dem wir Gottes Ebenbild finden. Jesus Christus ist nach biblischem Zeugnis der wahre, gehorsame Mensch (verus homo). "Seht, welch ein Mensch" (latein. ecce homo) -- mit diesen Worten stellt etwa Pilatus nach Joh 19,5 den dornengekrönten, gegeißelten und verspotteten Jesus auf seinem Weg an das Kreuz vor das Volk.

Wenn Christus als Ebenbild Gottes bezeichnet wird, heißt dies nichts anderes, als dass er "der Mensch nach Maß" ist. Ganz anders als dieser "Mensch nach Maß" sieht hingegen der "Mensch nach Maß" aus, wie ihn die Reproduktionsmedizin etwa im Zuge der PID ins Auge fasst. Hier wird der "wahre Mensch" als Embryo ohne strukturelle, funktionelle, chromosomale und molekulare Störungen ansichtig. Die morphologischen Kriterien der PID weisen ihn als solchen aus. Wenn Jesus Christus als der keineswegs makellose, sondern als der be- und geschädigte Mensch am Kreuz an die Stelle der Menschen tritt, dann wird nicht nur deutlich, dass seine Stellvertretung auch sie betrifft, weil und insofern sie allen Menschen gilt. Mehr noch und darüber hinausgehend gilt es festzuhalten: Indem der wahre Mensch als verachteter, makelbehaftete, stigmatisierte Mensch am "Schandfleck Kreuz" hängt, identifiziert er sich mit den verachteten und kranken Menschen dieser Welt. Zu ihnen gehören auch solche Menschen, die mittels PID als kranke Embryonen bestimmt wurden und als solche kein Recht auf einen Transfer (und d.h. auf Leben) zu haben scheinen.

b) Auferstehungstheologische Wahrnehmung der IVF: Sensibilisierung für die mit der IVF verknüpfte Entleiblichungstendenz

Die Frage der Leiblichkeit wird biblisch insbesondere im Zusammenhang mit der leiblichen Auferstehung Jesu Christi virulent. Dabei wird aber nicht nur auf die Andersartigkeit des Auferstandenen gegenüber seiner irdischen Gestalt abgehoben (Lk 24,13-35; Joh 20,11-23), sondern zugleich auch massiv die Greifbarkeit seiner Leiblichkeit betont: Der Auferstandene lässt Thomas die Nägelmale in seinen Händen sehen und die Hand in seine Seite legen (Joh 20,24-31). Er isst ein Stück gebratenen Fisch vor seinen Jüngern (Lk 24,42-43).

Mit Blick auf die IVF stellt sich die Frage, ob nicht die Umgehung der Leiblichkeit durch diese reproduktionstechnologische Maßnahme geschieht: Ist mit der IVF nicht ein Befreiungsversuch aus der "Leib-Eigenschaft" im Gang? Der Bochumer Theologe Christian Link hat davon gesprochen, dass bei der IVF das Zusammenspiel von Leib und Seele im "natürlichen" Zeugungsakt, der Zusammenhang von Geist und Materie bei der Entstehung des Lebens methodisch durchtrennt wird. Man löse Leben gleichsam aus seiner kommunikativen Einbettung heraus.

Hat nicht gerade die Auflösung dieses Kommunikationszusammenhangs, den die Einführung der IVF mit sich brachte, die Unterscheidung zwischen "Person" und "Sache", "etwas" und "jemand" (Robert Spaemann), "Gemachtem" und "Gewordenem" provoziert? Es sollte nicht verkannt werden, dass mit der Verlagerung der Zeugung außerhalb des Mutterleibes fundamentale Veränderungen der menschlichen Existenzform einhergehen. Die Bedingungen des Menschseins verändern sich an dessen festgelegtem "Beginn", indem Zeugung und Schwangerschaft ihre Deckungsgleichheit verlieren. Anders als in vivo besteht für den Embryo in vitro nicht der leibliche Schutz des In-Seins und Mit-Seins, der eine Schwangerschaft kennzeichnet. Diese Auflösung aber stellt die Voraussetzung für jegliche Manipulation am Menschen dar.

Die mit der Auferweckung Jesu Christi verbundene Leiblichkeitsdimension sensibilisiert für die Wahrnehmung der Reproduktionsmedizin im Hinblick auf die Umgehung bzw. Reduzierung der Zeugung im menschlichen Liebesakt auf einen technischen Vorgang. Mit der IVF wird der Zeugungsvorgang aus der leiblich-seelischen Ganzheit der Paarbeziehung herausgelöst und verdinglicht.

c) Erwählungstheologische Wahrnehmung der IVF: Sensibilisierung für eine "Menschenwürde von Anfang an" (Wolfgang Huber)

In Eph 1,4 heißt es: "In ihm [Jesus Christus] hat er [Gott, der Vater] uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war". Hier ist von einem Ursprung vor einem zeitlichen Anfang die Rede. Davon spricht auch das Weihnachtslied "Ich steh an deiner Krippen hier", das aus der Feder Johann Sebastian Bachs und Paul Gerhardts stammt: "Da ich noch nicht geboren war, / da bist du mir geboren / und hast mich dir zu eigen gar, / eh' ich dich kannt, erkoren".

Hier wird nicht nur von einer leiblich-empirischen Geburt gesprochen, sondern einer ganz anderen Geburt, die als Ursprung verstanden wird. Anhand dieses Liedes lernt die christliche Gemeinde gleichsam singend zwischen dem zeitlichen Anfang und dem Ursprung der Person zu unterscheiden. Mit der Betonung jener Differenz zwischen dem zeitlichen Anfang und dem Ursprung der Person wird also eine biomedizinethisch höchst bedeutsame Aussage getroffen: Der Ursprung liegt im Erwählungshandeln Gottes und ist nicht-empirischer Natur. Dieses Aufgehoben-Sein der Geschöpfe in Gottes Wirken widerspricht dem Versuch, uns außerhalb des Werdens menschlichen Lebens als diejenigen zu begreifen, die dieses in einen Ausnahmezustand des Nicht-Menschseins bzw. Nicht-Personseins versetzen. Der in der aktuellen biomedizinethischen Debatte wahrnehmbare Zwang zur rechtlichen Definition des Lebensanfangs darf auf keinen Fall verdecken: "Im ethischen Sinn soll die Person zeitlich anfanglos bleiben, weil sie einen nicht-empirischen Ursprung hat. Man kann keinen biologischen Entwicklungsstand als Anfang des Personseins ansehen. Das wäre in jedem Fall eine willkürliche Setzung. Personen haben keinen empirischen, zeitlichen Anfang. Sie sind ursprünglich. Und daher sehen wir die Zeugung, den frühesten Termin, als Anfang an." (Heinrich Assel).

Es gilt also, die Zeugung im Sinne eines frühest möglichen Zeitpunktes (also unter Einschluss des sog. Pronucleusstadiums) als Anfang wahrzunehmen, weil jeder spätere Termin dem ursprünglichen Personsein widersprechen würde. Dieses in theologischer Hinsicht christologisch perspektivierte Sehen des Menschen als Person ist eine praktische Form der Wahrnehmung, wie Geschöpfe ursprungsbezogen leben. Sie umkreist das Mysterium des göttlichen Erwählungshandelns mit dem christologisch erlernten und geschulten Blick. In Bezug auf die IVF bedeutet dies nun, dass auch die entstehenden überschüssigen (Prä-)Embryonen als Personen wahrnehmbar sind, die als solche nicht verworfen werden dürfen. Insofern legt sich in christologischer Hinsicht mit Blick auf die "überschüssigen" Embryonen und "verworfenen" (Prä-)Embryonen eine Ablehnung der IVF nahe.

Es stellt sich nun die Frage, wie diese theologisch begründete Ablehnung gesellschaftlich vermittelt werden kann. Denn es ist davon auszugehen, dass sich die Kirche allein schon aufgrund ihres Öffentlichkeitsauftrages nicht damit begnügen will und kann, ihre theologischen Einsichten, Erkenntnisse und Urteile für sich zu behalten. Im Blick auf die IVF ist allerdings die Vorstellung von einem rechtsstaatlich durchgesetzten Verbot der IVF z.Zt. schlichtweg illusionär. Für eine derartige Initiative fehlt es im demokratischen Verfassungsstaat weniger an rechtlichen Eingriffsmöglichkeiten als vielmehr an entsprechenden Mehrheitsverhältnissen. Eine "einladende Ethik" (Georg Plasger), die eine derartige politische Forderung aufstellen würde, wäre mit einer Fahrradbremse am Interkontinentalflugzeug zu vergleichen. Gleichwohl darf die Kirche keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie grundsätzlich der IVF ablehnend gegenüber steht.

Es wird darauf ankommen, dass sie ihren Beitrag dazu leistet, den Verzicht auf Kinder lebbar zu machen und Menschen vor zwanghafter Technisierung in Schutz zu nehmen. Sie wird nach alternativen Erfahrungen von Elternschaft fragen müssen, wobei ich nicht nur an Adoption und die Aufnahme von Pflegekindern denke, sondern auch das mit der Kindertaufe verknüpfte Patenamt.

Der bewusste Verzicht auf eigene Kinder kann bei aller Schmerzhaftigkeit für die Betroffenen gerade den forcierten Einsatz für tätige Nächstenliebe über die Grenzen der eigenen Familie hinaus eröffnen. Das Gelingen von Partnerschaft und die sinnvolle Gestaltung des eigenen Lebens ist keineswegs an die Erfahrungen leiblicher Elternschaft gebunden, sondern ganz gewiss auch jenseits derselben möglich. Kirche hat also kein Unwerturteil über die von der IVF Gebrauchmachenden zu fällen; sie hat aber zum Verzicht auf die IVF einzuladen. Mediziner/innen (insbesondere Reproduktionsmediziner/innen) -- so hat der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber, zu Recht gemahnt -- sollten sich dafür hüten, Kinderlosigkeit zu pathologisieren und in jedem Fall für therapiebedürftig zu erklären. Auch der Gesetzgeber sieht ungewollte Kinderlosigkeit nicht als Krankheit an, wie das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfGE vom 28.2.2007 I 350 -1BvL 5/03) besagt.