Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang Wilke, Ulm:
Naturwissenschaftliche Vorstellungen von Anfang und Ende der Welt


Die heute weithin akzeptierten Vorstellungen über die Entwicklung des Kosmos basieren auf theoretischen Modellen, deren Voraussetzungen durch Beobachtungen weitgehend verifiziert sind. Stets muß die Annahme der zeitlichen und räumlichen Konstanz der Naturgesetze und der Zahlenwerte der Naturkonstanten zugrunde gelegt werden.

Die theoretische Basis der Modelle für die Entwicklung des Kosmos ist Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie (1915), auf deren Grundlage Friedmann 1922 unter der Voraussetzung der Homogenität und lsotropie des Raumes (Kosmologisches Prinzip: Im Universum sind alle Positionen und Richtungen gleichwertig) die möglichen Weltmodelle ableitete. Zum damaligen Zeitpunkt ging man von einem statischen Universum aus, weshalb Einstein 1917 in seine Feldgleichungen die sog. Kosmologische Konstante einführte, die eine Kompensation der Gravitationsanziehung bewirkt und für einen bestimmten (kritischen) Wert ein statisches (allerdings instabiles) Universum erlaubt. Für alle anderen Werte ergeben sich dynamische Kosmen, die eine Entwicklung durchlaufen. Es gibt drei Klassen von Weitmodellen mit unterschiedlicher Raumkrümmung: positiv, negativ oder null (flacher, euklidischer Raum). Fast alle dynamischen Modelle starten zur Zeit t=0 mit einem Weltradius R(0)=0.

Für alle drei Klassen gibt es einerseits Modelle, die bis zu einem maximalen Radius expandieren und dann nach endlicher Zeit wieder kollabieren bis R=0 und andererseits Modelle, die immer weiter expandieren. Welcher Fall eintritt, hängt von der mittleren Materiedichte und dem Wert der Kosmologischen Konstante ab. Hat die Kosmologische Konstante den Wert null, so existiert eine kritische Dichte, so daß für Dichten, die kleiner sind als diese kritische Dichte der Fall der ewigen Expansion vorliegt.

1912 wurden von Slipher erste Beobachtungen der Rotverschiebung von Spektrallinien in den Spektren von Galaxien (die damals noch als Nebel bezeichnet wurden) gemacht und als Dopplereffekt gedeutet. Carl Wirtz formulierte 1924 die Hypothese, daß es sich um eine systematische Rezessionsbewegung handelt und las eine Korrelation zwischen Rotverschiebung und Entfernung aus den damals vorliegenden wenigen Daten heraus. 1929 stellte dann Hubble (auf der Basis von 18 Objekten, deren Entfernungen bekannt waren) die empirische Beziehung zwischen Geschwindigkeit und Entfernung der Galaxien auf: Die Geschwindigkeit ist proportional zur Entfernung. Wenn sich alle Galaxien voneinander entfernen, dann muß es (falls sich die Bewegung nicht umgekehrt hat) einen Zeitpunkt gegeben haben, wo alle Galaxien auf engstem Raum vereinigt waren, wie es die Friedmannschen Weitmodelle erlauben. Die Entwicklung startete von einem Punkt aus, wie es Lemaitre 1931 als "Urknall"-Hypothese formulierte.

Der Kosmos ist von Materie und Strahlung erfüllt. Wendet man auf dieses System die Gesetze der Thermodynamik an, so ergibt sich, daß kurz nach dem Urknall extrem hohe Temperaturen und Dichten herrschten. Mit fortschreitender Expansion nahmen Temperatur und Dichte ab. Etwa 300000 Jahre nach dem Urknall betrug die Temperatur etwa 4000 K und es bildeten sich neutrale H- und He-Atome. Von diesem Zeitpunkt an waren Strahlung und Materie entkoppelt und entwickelten sich unabhängig voneinander weiter. Die Strahlung kühlte sich weiter ab. 1948 wurde von Gamov die Existenz einer isotropen Strahlung vorhergesagt, die 1964 von Penzias und Wilson entdeckt wurde und einer Temperatur von 2,7 K entspricht. Aus der gemessenen Isotropie dieser Hintergrund-Strahlung kann auf die Isotropie der Materieverteilung geschlossen werden, eine der wesentlichen Voraussetzungen der Friedmannschen Weltmodelle.

Betrachtet man die Vorstellungen über die Entwicklung des Kosmos, so muß zwischen Aussagen, die auf weitgehend gesicherten physikalischen Erkenntnissen beruhen und Hypothesen bzw.Spekulationen unterschieden werden. Auf weitgehend sicherer Basis (falls die oben genannten und einige weitere Voraussetzungen erfüllt sind) stehen die Aussagen über die Entwicklung, die ab etwa einer tausendstel Sekunde nach dem Urknall erfolgte. Zu diesem Zeitpunkt existierten neben Elektronen, Positronen, Photonen und Neutrinos bereits Nukleonen (Protonen und Neutronen). Etwa drei Minuten nach dem Urknall wurden Heliumkerne und die Kerne einiger weiterer leichter Elemente gebildet.Das gemessene Verhältnis von Wasserstoff zu Helium und der Anteil von Deuterium stützen die Aussagen der Theorie. Schwerere Elemente entstanden erst sehr viel später in den Sternen und bei Supernova-Explosionen. Atome bildeten sich, wie oben bereits erwähnt, nach etwa 300000 Jahren. Erst später bildeten sich durch Kondensation aus kleinen Dichteschwankungen die heute beobachteten Strukturen (Sterne, Galaxien, Galaxienhaufen). Die Theorie dieser Strukturbildung ist eines der zentralen Themen der gegenwärtigen Forschung.

Extrapoliert man dieses kurz umrissene sog. Standardmodell zu früheren Zeiten, so hat es einige Schwächen. Es erklärt z. B. nicht die Isotropie der Hintergrundstrahlung (Horizontproblem) und die gegenwärtig beobachtete sehr geringe Raumkrümmung (Flachheitsproblem). Eine mögliche hypothetische Lösung ist das Modell des inflationären Universums (Guth 1981, seither viele Versionen): kurz nach dem Urknall hat der Radius des Universums in einer kurzen Zeitspanne extrem zugenommen, danach erfolgte die Entwicklung wie im Standardmodell. Einer Erklärung bedarf auch die Tatsache, daß der beobachtbare Teil des Kosmos aus Materie besteht und es anscheinend keine kompakten Objekte (Sterne, Galaxien) aus Antimaterie gibt. Nach den gängigen Vorstellungen sollte Symmetrie zwischen Materie und Antimaterie herrschen und danach hätten sich in der Frühzeit des Kosmos Materie- und Antimaterieteilchen gegenseitig vernichtet. Moderne Theorien der Elementarteilchen, die allerdings bisher durch keinerlei Experimente gestützt werden, können eine Erklärung für die Entstehung eines Materie-Überschusses in einer bestimmten Entwicklungsphase des Kosmos geben.

Die bisher angedeuteten Resultate basieren auf der Allgemeinen Relativitätstheorie als klassischer Theorie der Gravitation und der z. T. hypothetischen Quantentheorie der Elementarteilchen. Man weiß jedoch, daß die klassische Theorie der Gravitation bei den extrem kleinen Dimensionen des Universums unmittelbar nach dem Urknall durch eine Quantentheorie der Gravitation ersetzt werden muß, die jedoch bis heute trotz großer Anstrengungen nicht konsistent entwickelt werden konnte. Alle Überlegungen über den Urknall selbst sind deshalb interessant, aber hochgradig spekulativ.

Für das Ende des Kosmos liefern die Friedmann-ModeIle die beiden Möglichkeiten der Rekontraktion mit dem Auslöschen aller Strukturen in einem End-Feuerball und der unendlichen Ausdehnung und Abkühlung. Die Art der überlebenden Teilchen hängt davon ab, welche (hypothetische) Theorie der Elementarteilchen zugrunde gelegt wird.

Neue Beobachtungen scheinen darauf hinzudeuten, daß die Kosmologische Konstante ungleich Null ist und unser Kosmos sich für alle Zeiten weiter ausdehnen wird.