Prof. Dr. theol. Hans Schwarz, Regensburg:
Das Ende gleicht nicht dem Anfang.

Anmerkungen zu einem Zentralthema Karl Heims


Weltschöpfung und Weltende ist der Titel des sechsten und letzten Bands von Karl Heims großem Werk, Der evangelische Glaube und das Denken der Gegenwart. Die 2. Auflage von Band 6 erschien 1958, im Todesjahr Karl Heims. Damit rundet er seine Theologie ab, sein Blick geht sowohl nach hinten als auch nach vorne, zentrale Themen seiner Theologie werden wieder aufgenommen, wie die Dimensionenlehre und das Denken in Räumen, das Karl Heim schon in Band 1 praktizierte.

1. Das Denken in Räumen

Karl Heim sieht unser Dasein unter ein universales Gesetz der Polarität gestellt, unter den Gegensatz von Ich und Du, Gegenwart und Vergangenheit, und immer wieder unter ein letztendliches Entweder-Oder. Überall in der geschaffenen Welt waltet dieses Prinzip der Polarität, "überall herrscht ruheloser Kampf. Wesen, die einander zum Leben brauchen, verdrängen und vernichten einander. Durch die ganze Natur geht eine ungelöste Not" (ebd. S. 127.77, das Zitat S. 136).

Im Lichte des überpolaren Urraums Gottes wird uns deutlich, dass unsere polare Weltform die wesenhafte Entfremdung der Schöpfung von ihrem Schöpfer bezeugt. Obwohl unser ganzes Vorstellungsvermögen in der polaren Weltform gefangen ist, tat sich nach Heim in der jüdischen Apokalyptik die Überzeugung auf, dass das Grundgesetz der Polarität aufgehoben werden wird. Eine neue Weltform mit einem neuen Flimmel und einer neuen Erde wird entstehen, in der die Zeitlichkeit aufgehoben sein wird. Im Gegensatz zu Paulus redet Heim hier aber nicht von einer neuen Schöpfung, sondern von einer Enthüllung: die jetzige Daseinstorm der Welt wird zurückgenommen werden in den ewigen Raum Gottes, der schon jetzt allgegenwärtig da ist.

2. Schöpfung und Fall

Nach Heim bildet die gesamte Schöpfung, Menschen, Tiere, Pflanzen und die anorganische Natur Gott gegenüber eine in sich zusammengehörige Einheit. Sie ist Kreatur und als solche steht sie unter dem Grundgesetz des Werdens und des Vergehens. Dieser Einheit der geschaffenen Welt gegenüber erhebt sich Gott als der allein Absolute. Doch Solidarität untereinander und Gegenüber-gestellt-sein zum Schöpfer kann uns keine tragfähige Grundlage für unser Leben geben. Entscheidend ist, wie sich Gott uns gegenüber verhält. Gott aber ist nach der Bibel kein unpersönliches Es und kein teilnahmsloser Tyrann. Gott nimmt den Menschen aus seinem stammesgeschichtlichen Zusammenhang heraus und gibt ihm die Menschenwürde, indem er ihn vor Entscheidungen stellt, die außerhalb jedes gegenständlichen Kausalzusammenhangs stehen.

Doch ist diese Welt nicht nur der großartige Bau, den wir auf den ersten Seiten der Bibel vorgeführt bekommen, sondern es muß "etwas in die Welt hineingekommen sein, was ursprünglich nicht dann lag". Kampf und Tod gehören nach der Bibel nicht notwendig zur Schöpfungswelt. Die Welt ist gut aus Gottes Hand hervorgegangen, der Riss, der durch die Schöpfung geht, ist die Folge eines Fluches, der auf der Welt lastet. "Durch Natur- und Menschenwelt geht eine Dissonanz, ein schmerzlicher Riß, an dem wir alle irgendwie leiden" (5. 126).

Diese Dissonanz zeigt sich zum einen im unaufhaltsamen Zerrinnen der Zeit, zum anderen in der unüberwindbaren Grenze zwischen Ich und Du, darin, dass wir uns letztlich immer Fremde bleiben. All das führt zu der biblischen Erkenntnis, dass am Anfang des Menschendaseins ein Urfall geschehen ist, in dem sich der Wille der ganzen Menschheit von Gott losgerissen hat (Die Weltanschauung der Bibel, S. 42).

Gibt es eine Lösung für dieses Verhängnis? Heim stellt uns vor eine Alternative: Einerseits kann die Welt so weitergehen wie bisher. Dann ist das Leben nicht lebenswert. Oder aber der Lauf der Welt hat ein Ziel, in dem die ganze Grundform dieser Welt aufgehoben wird, um einer neuen Form Raum zu machen.

Die entscheidende Frage ist allerdings, ob diese völlig neue Weltform zu einer Restitution führt, also einer Wiederherstellung, oder zu einer Vollendung. Gleicht also das Ende dem Anfang oder ist das Ende ein wirklich neues?

3. Restitution oder Vollendung?

Wenn es eine Erlösung aus unserer gegenwärtigen Lage geben soll, dann muß es einen Weitzustand geben, in dem Tod und Vergänglichkeit nicht mehr sein werden. "Wenn der Gegensatz aufgehoben ist, der durch den Fall entstanden war, zwischen Schöpfung und Schöpfer, dann heilt die Wunde, die durch den Tod der Schöpfung geschlagen war" (Die Weltanschauung der Bibel, 91).

In dem neuen Weltzustand wird dann Gott aus der Unsichtbarkeit heraustreten. Er wird wieder für die ganze geschaffene Welt sichtbar, denn sie gehört ihm und er hat absolute Gewalt über sie. Alles Widergöttliche ist eliminiert und "alles, was außer ihm da ist, die ganze geschaffene Welt, ist für ihn da" (Weltschöpfung und Weltende, 152). Wie sich in der Auferstehung Jesu Christi anzeigt, vergeht die Welt nicht im Nichts, sondern durch die große Weltverwandlung wird die polare Weltgestalt von dem Nichts befreit. Gott nimmt "die Welt in das überpolare Dasein heim" (Ebd., 170).

Allerdings müssen wir hier fragen, ob diese Heimholung der Welt, diese Transformation in den überpolaren Raum wirklich eine Vollendung ist oder nur eine Restitution. Hier ist nun kritisch zu vennerken, dass diese Heimholung der Welt bei Heim grundlegend als Restitution gedacht ist und nicht als Vollendung, als Hinführung zu einem bisher nicht dagewesenen Ziel. Problematisch ist dabei nicht die Theologie Karl Heims, sondern, wie fast bei jedem Theologen, der sich seine Denkstrukturen von anderen Disziplinen holt, die übersehene Diskrepanz zwischen dimensionalem und finalem Denken.

4. Dimensionales und finales Denken

Das göttliche Schaffen kommt in der Bibel nicht nur im priesterlichen Schöpfungsbericht vor, also am Anfang, wie Heim zu Recht betont, sondern auch bei Deutero-Jesaja, wenn dieser von einer neuen Schöpfung spricht, d.h. am Ende. Die priesterliche Schöpfungsgeschichte hat nicht zufällig ihre Entsprechung im Prolog des Johannes-Evangeliums. Christus ist nicht nur der Schöpfungsmittler, sondern der, mit dem eine neue Schöpfung anfing, eine Schöpfung in Vollendung.

Zu Recht hat Karl Heim betont, dass die jetzige Schöpfung gut war. Zu Recht betont er auch unsere Entfremdung von Gott mit all den negativen Folgen für Mensch und Natur. Zu Recht betont er auch die widergöttlichen Mächte, die die Welt in ein widergöttliches Chaos verwandeln wollen. Aber genauso wie er betonte, dass man den biologischen Tod nicht dem ersten Menschen und seiner Entfremdung von Gott anlasten kann, so kann man Zeitlichkeit und Vergänglichkeit auch nicht den widergöttlichen Mächten anlasten, es sei denn, man würde sie zu widergöttlichen Schöpfungsmächten hochstilisieren, was Heim mit Sicherheit ablehnen würde. Vergänglichkeit und Tod zeigen an, dass unsere Welt unterwegs ist, von der Schöpfung am Anfang zu dem, wonach sich alle sehnen und wovon der christliche Glaube zeugt, eine neue, vollkommene Weltform, die nicht mehr vom Tod und von der Vergänglichkeit geprägt ist. Das aber geht über die Schöpfung am Anfang hinaus.

Wenn die Kreatur ängstlich harrt, wie Paulus schreibt, so zeigt sich, dass sie noch nicht vollendet ist. Eschatologische Vollendung ist immer final, aber nicht dimensional in einem rein räumlichen Sinne. Obwohl Karl Heim ein ganzes großes Kapitel Jesus dem Weltvollender widmet (Heim: Jesus der Weltvollender, 1937, S. 142-228), verhindert sein Denken in Räumen das Sich-Abzeichnen von etwas wirklich Neuem. Statt dessen sagt er: "Wenn die Kreatur aus der Knechtschaft der Vergänglichkeit erlöst ist, dann hört damit aber auch die dämonische Verwüstung und die häßliche Entstellung der Schöpfung auf, die durch Schuld und Schmerz entstanden war. Die Schöpfung steht in reiner Schönheit da" (ebd. 5. 221). Man könnte hier im Sinne Heims anmerken: in der reinen Schönheit, wie sie einst schon da war. Aber genau an diesem Punkt geht das finale eschatologische Denken des Neuen Testaments einen entscheidenden Schritt weiter, denn dort spricht man von Vollendung und nicht von Restitution. Das Ende gleicht also nicht dem Anfang, sondern bringt etwas Neues.