Wolfgang Schoberth: Schöpfung und Selbstorganisation.
Von falschen Alternativen und echten Konflikten


Thesen zum Vortrag

  1. Auf den ersten Blick scheint die Theorie der Selbstorganisation in fundamentalen Widerspruch zum Schöpfungsglauben zu stehen: Denn innerhalb dieses Theorierahmens ist kein Platz für einen (welttranszendenten) Schöpfer.

  2. Das ist allerdings keine Besonderheit dieses Theorierahmens und kein neues Phänomen, da alle naturwissenschaftlichen Modelle per definitionem den Rekurs auf 'Gott' ausschließen.

  3. Die Grundfrage bleibt also dieselbe wie bei aller Wissenschaft: Wird hier ausgeschlossen, daß auch außerhalb der Wissenschaft Wahrheit ist, oder werden die Grenzen und Bedingungen der eigenen Perspektive und Pragmatik wahrgenommen?

  4. Die Identifikation von Wissenschaft und Wahrheit ist aber nicht nur aus theologischen Gründen unhaltbar.

  5. Die weitergehende Frage, wie sich wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Wahrheit zueinander verhalten, bedürfte genauerer Reflexion, kann hier aber auf sich beruhen.

  6. Auch die Theorie der Selbstorganisation erklärt nicht, wie die Welt entstanden und beschaffen sei, sondern füllt Lücken innerhalb der anerkannten naturwissenschaftlichen Theorien.

  7. Diese Lücken resultieren z.B. daraus, daß die Annahmen der klassischen Evolutionstheorie (zufällige Mutationen und Selektion) nicht zuletzt aus Gründen der Wahrscheinlichkeit nicht ausreichen.

  8. Die Unwahrscheinlichkeit der Entstehung höherer Lebensformen und des Lebens überhaupt macht Zusatzannahmen nötig, die eine Richtung der 'zufälligen' Prozesse behaupten.

  9. Diese Zusatzannahmen bringen Momente eines teleologischen Denkens neu zur Geltung, das in der Entwicklung neuzeitlicher Wissenschaft eliminiert worden war; insofern ist die Annahme einer 'Selbstorganisation' eine Korrektur von Prämissen neuzeitlicher Wissenschaft.

  10. Diese Korrektur soll nun so erfolgen, daß sie selbst innerhalb des Rahmens formuliert wird, in dem neuzeitliche Wissenschaft sich vollzieht; sie dient also letztlich der Stabilisierung dieses Rahmens.

  11. Damit werden Erwartungen geweckt, die nicht einlösbar sind: Analog der Chaostheorie scheint die Theorie der Selbstorganisation das naturwissenschaftliche Schema um das zu erweitern, was von diesem methodisch ausgeschlossen wurde.

  12. Diese Erwartungen gehen darauf, daß der (notwendige) Reduktionismus der Wissenschaften durchbrochen wird und die Welt in ihrer Komplexität wissenschaftlich unverkürzt erfaßbar wird.

  13. Dieser Reduktionismus ist aber auch durch die Theorie der Selbstorganisation nicht durchbrochen, insofern diese selbst wieder bestenfalls nur die (theoretisch konstruierten) Prinzipien der Organisation beschreiben, nicht aber deren transzendentalen Grund in den Blick bekommen kann.

  14. Ebenso bleiben solche Dimensionen der Erfahrung ausgeschlossen, die sich wissenschaftlicher Methodik entziehen und gleichwohl für das Leben fundamental sind. Solche Erfahrungen kommen aber gerade im Schöpfungsglauben zur Sprache.

  15. Die theologisch wie philosophisch relevante Frage bleibt jenseits der Theorie der Selbstorganisation und ist wissenschaftlich unbeantwortbar: Wer oder was ist das 'Selbst' der Selbstorganisation?

  16. Strittig bleibt, ob hier Gott zu nennen ist oder Zufall oder innere Dynamik etc. Die Antwort bleibt so oder so eine Frage des Glaubens oder, in anderer Perspektive, eine Frage der jeweiligen Grundannahmen über die Welt.

  17. Von der Antwort auf diese Frage hängt die Wahrnehmung unserer (gegenwärtigen) Welt ab: Ist sie uns Mechanismus, Kosmos oder Schöpfung? Die notwendigen Auseinandersetzungen beziehen sich also nicht einfach auf Zustimmung oder Bestreitung der Theorie der Selbstorganisation, sondern auf deren mögliche Implikationen.

  18. Diese Auseinandersetzung ist aber die klassische Frage in dem Dialog von Naturwissenschaften und Theologie.

  19. Einer schöpfungstheologisch reflektierten Lesart steht aber auch die Theorie der Selbstorganisation offen.

  20. Der Theologie bietet sich hier die Möglichkeit, die traditionelle theistische Engführung aufzubrechen und die Gegenwart Gottes in seiner Schöpfung neu zu buchstabieren.