Armin Kreiner:
Das anthropische Prinzip
und seine theologische Relevanz
Das seit dem Beginn der Neuzeit vorherrschende kopernikanische
Prinzip besagt, dass der Mensch im Universum keine ausgezeichnete Rolle
spielt. Im Gegensatz dazu suggeriert das anthropische Prinzip
wiederum eine zentrale Rolle des Menschen, weil zahlreiche grundlegende
physikalische Parameter exakt so abgestimmt sind, dass sich im Universum menschliches
Leben entwickeln konnte.
In der gegenwärtigen
Diskussion herrscht relative Einmütigkeit darüber, dass die dem
anthropischen Prinzip zugrunde liegende Feinabstimmung aufgrund ihrer
extremen Unwahrscheinlichkeit einer Erklärung bedarf. Umstritten ist
jedoch, wie diese Erklärung auszusehen hat: Einige sehen in der
Feinabstimmung ein klares und eindeutiges Indiz für die Existenz eines
göttlichen Schöpfers. Andere sind davon überzeugt, dass es dafür eine
naturalistische bzw. atheistische Erklärung gibt, die in der Regel als
Version einer Theorie vieler Welten ("Multiversum") präsentiert
wird.
Die Diskussion um den
teleologischen Gottesbeweis (bzw. das design argument) bildet in
gewisser Hinsicht einen Präzedenzfall für die gegenwärtige Auseinandersetzung
um das anthropische Prinzip. Die darwinistische Evolutionstheorie hatte im
19. Jahrhundert eine "natürliche" Erklärung für die Angepasstheit
der Lebewesen geliefert, also für ein Phänomen, das zuvor scheinbar nur
religiös erklärt werden konnte. Es fragt sich, ob die Diskussion um das
anthropische Prinzip ähnlich verlaufen wird, so dass ein zunächst scheinbar
nur religiös erklärbares Phänomen schließlich doch eine plausible
natürliche Erklärung findet.
Ein Großteil der Diskussion
dreht sich um diesen Punkt: Welche Erklärung der Feinabstimmung – die
religiöse oder die naturalistische – verdient den Vorzug? Wofür soll man
sich aus welchen Gründen entscheiden? Vordergründig geht es bei diesen
Fragen häufig um Kriterien zur vergleichenden Bewertung alternativer
Erklärungen bzw. Theorien: Welche Erklärung ist rationaler,
wahrscheinlicher, einfacher, plausibler usw.
Hinter dieser Entscheidung
dürften allerdings noch Überlegungen ganz anderer Art stehen, unter anderem
auch die Frage nach dem Sinn des menschlichen Daseins. Wäre ein sinnvolles
Leben nur in einer von Gott erschaffenen Welt möglich? Liefe die
naturalistische Weltdeutung darauf hinaus, das menschliche Leben als
sinnlos zu betrachten? Kann nur der Gottesglaube einen Sinn begründen? Geht
der Naturalismus zwangsläufig mit einem "Nihilismus" einher?
Einführende Literatur:
J.D. Barrow/F.J. Tipler: The Anthropic Cosmological Principle
(Oxford University Press: Oxford-New York, 1986)
M.A. Corey: The God Hypothesis. Discovering Design in Our
"Just Right" Goldilocks Universe (Rowman & Littlefield:
Lanham 2001).
S.M. Barr: Modern Physics and Ancient Faith (University of Notre Dame Press:
Notre Dame 2003).
C. Fehige - G. Meggle -
U.Wessels (Hg.): Der Sinn des Lebens
(Deutscher Taschenbuch Verlag: München 2000).
J. Leslie (Hg.): Modern Cosmology & Philosophy (Prometheus
Books: Amherst, 1998).
N.A. Manson (Hg.): God and Design. The Teleological Argument and
Modern Sciene (Routledge: London-New York 2003).
B. Kanitscheider: Auf der
Suche nach dem Sinn (Insel Verlag: Frankfurt a.M.-Leipzig, 1995).
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