Karl-Heim-Gesellschaft: Jahrestagung 2004


 

Armin Kreiner:

Das anthropische Prinzip und seine theologische Relevanz


Das seit dem Beginn der Neuzeit vorherrschende kopernikanische Prinzip besagt, dass der Mensch im Universum keine ausgezeichnete Rolle spielt. Im Gegensatz dazu suggeriert das anthropische Prinzip wiederum eine zentrale Rolle des Menschen, weil zahlreiche grundlegende physikalische Parameter exakt so abgestimmt sind, dass sich im Universum menschliches Leben entwickeln konnte.

 

In der gegenwärtigen Diskussion herrscht relative Einmütigkeit darüber, dass die dem anthropischen Prinzip zugrunde liegende Feinabstimmung aufgrund ihrer extremen Unwahrscheinlichkeit einer Erklärung bedarf. Umstritten ist jedoch, wie diese Erklärung auszusehen hat: Einige sehen in der Feinabstimmung ein klares und eindeutiges Indiz für die Existenz eines göttlichen Schöpfers. Andere sind davon überzeugt, dass es dafür eine naturalistische bzw. atheistische Erklärung gibt, die in der Regel als Version einer Theorie vieler Welten ("Multiversum") präsentiert wird.

 

Die Diskussion um den teleologischen Gottesbeweis (bzw. das design argument) bildet in gewisser Hinsicht einen Präzedenzfall für die gegenwärtige Auseinandersetzung um das anthropische Prinzip. Die darwinistische Evolutionstheorie hatte im 19. Jahrhundert eine "natürliche" Erklärung für die Angepasstheit der Lebewesen geliefert, also für ein Phänomen, das zuvor scheinbar nur religiös erklärt werden konnte. Es fragt sich, ob die Diskussion um das anthropische Prinzip ähnlich verlaufen wird, so dass ein zunächst scheinbar nur religiös erklärbares Phänomen schließlich doch eine plausible natürliche Erklärung findet.

 

Ein Großteil der Diskussion dreht sich um diesen Punkt: Welche Erklärung der Feinabstimmung – die religiöse oder die naturalistische – verdient den Vorzug? Wofür soll man sich aus welchen Gründen entscheiden? Vordergründig geht es bei diesen Fragen häufig um Kriterien zur vergleichenden Bewertung alternativer Erklärungen bzw. Theorien: Welche Erklärung ist rationaler, wahrscheinlicher, einfacher, plausibler usw.

 

Hinter dieser Entscheidung dürften allerdings noch Überlegungen ganz anderer Art stehen, unter anderem auch die Frage nach dem Sinn des menschlichen Daseins. Wäre ein sinnvolles Leben nur in einer von Gott erschaffenen Welt möglich? Liefe die naturalistische Weltdeutung darauf hinaus, das menschliche Leben als sinnlos zu betrachten? Kann nur der Gottesglaube einen Sinn begründen? Geht der Naturalismus zwangsläufig mit einem "Nihilismus" einher?

 

Einführende Literatur:

J.D. Barrow/F.J. Tipler: The Anthropic Cosmological Principle (Oxford University Press: Oxford-New York, 1986)

M.A. Corey: The God Hypothesis. Discovering Design in Our "Just Right" Goldilocks Universe (Rowman & Littlefield: Lanham 2001).

S.M. Barr: Modern Physics and Ancient Faith (University of Notre Dame Press: Notre Dame 2003).

C. Fehige - G. Meggle - U.Wessels (Hg.): Der Sinn des Lebens (Deutscher Taschenbuch Verlag: München 2000).

J. Leslie (Hg.): Modern Cosmology & Philosophy (Prometheus Books: Amherst, 1998).

N.A. Manson (Hg.): God and Design. The Teleological Argument and Modern Sciene (Routledge: London-New York 2003).

B. Kanitscheider: Auf der Suche nach dem Sinn (Insel Verlag: Frankfurt a.M.-Leipzig, 1995).