Karl-Heim-Gesellschaft: Jahrestagung 2003

Heinzpeter Hempelmann:
Heidnischer Wahrheitspluralismus kontra christlichen Monotheismus:
Biblischer Gottesglaube als Anfang und Ende westlicher Kultur und Zivilisation?


Die okzidentale, westliche, gleichwohl weltweit sich ausbreitende Kultur ist in mehrfacher Weise in eine tiefe Krise hineingeraten und sieht sich von verschiedenen Seiten befragt nach ihrer Substanz und Zukunftsfähigkeit. Einen "Unterstrom" der kritischen Diskurse bildet die Frage, ob nicht die Gewalttätigkeit, Intoleranz, Sinnentleerung und Dekadenz des Westens ein spätes, aber folgerichtiges Erbe der jüdisch-christlichen Wurzeln des Abendlandes, allgemeiner und grundsätzlicher: eine logische Konsequenz des vor allen Dingen Judentum, Christentum und Islam kennzeichnenden Monotheismus als Motiv, Movens und Modell monistischen Denkens darstellen.

Die von verschiedenen Seiten nahe gelegte kritische Diagnose wird mehrfach verbunden mit einem Rückruf zu einer Umwertung der - jüdisch-christlichen - Werte und ihrer monistischen Denkform. Diese kann nur erreicht werden im Rückgang zu den von Judentum und Christentum ausgetriebenen mythischen, vorchristlich-germanischen, polytheistisch-pluralistischen Denk- und Lebensformen.

Ich stelle Ihnen eingangs und als zwar partikulare, aber exemplarische Einführung in die Thematik den viel beachteten und fast genauso viel gescholtenen Roman Martin Walsers "Tod eines Kritikers" vor. Dieser Roman ist ein auf Kategorien Friedrich Nietzsches und postmoderner Denker zurückgreifender Schlüssel- und Programmroman. Der 1998 veröffentlichte und großes Aufsehen findende Essay Walsers "Querfeldein" wird zur Klärung der Walserschen Intentionen und als Interpretationshorizont herangezogen.

In einem weiteren Schritt stellen wir die kritischen Dekonstruktionen der exemplarisch demontierten jüdisch-christlich-aufgeklärten linksliberalen Münchner, Frankfurter und Hamburger Hanser- und Suhrkampkultur in den größeren Rahmen einer Reihe anderer, sowohl aktueller wie bleibend relevanter Diskurse über westlichen Lebensstil und Politik hinein.

In einem dritten Schritt fragen wir kritisch zurück nach dem Weg "heraus aus der christlichen Finsternis". Was ist der Preis dieses Rückganges hinter die jüdisch-christlichen und auch aufgeklärt-griechischen Wurzeln unserer abendländischen Kultur? Wir besinnen uns konstruktiv auf den Beitrag, den die so in die Defensive gedrängten jüdisch-christlichen Momente abendländischer Kultur eben für deren Überleben und Zukunftsfähigkeit, ja Zukunftswürdigkeit beitragen können.

Ein letzter, den postmodernen Ansatz konstruktiv aufnehmender Reflexionsgang fragt, ob die wesentlichen Einsichten und Anliegen nicht dort am besten verstanden und aufgenommen werden können, wo man sich der christlichen Tradition und der in Christus eröffneten Wirklichkeit des dreieinigen Gottes gerade wieder zuwendet.

Gliederung:

I Martin Walsers "Tod eines Kritikers" - ein postmoderner Schlüssel- und Programmroman

    a) Ein Schlüsselroman

    b) Ein Programm-Roman

    c) Ein postmoderner Progromm-Roman

        1. "Die Vernunft" als Äußerung eines Willen zur Macht

        2. Die Vernunft als (Lebens-)Äußerung eines Willen zur Macht "interpretiert"

        3. Der Begriff von Vernunft ist monarchisch-monotheistischer Herkunft

        4. Der unbedingte, absolute, göttliche Geltungsanspruch monarchischer Vernunft führt zu ihren moralischen Ver-Urteilungen

        5. Die monarchische Vernunft ist gewalttätig

        6. Die monarchisch-monotheistische Vernunft lebt von der praktizierten Herabwertung anderer

    d) "Ich vertraue auf ältere Erbschaften"

        1. Zusammenfassung

        2. Die monotheistische Wurzel allen Übels

        3. Positive Würdigung von Religion

        4. Die polytheistische Verheißung

 

II Kontexte der Debatte

    a) Peter Handke und Michel Houelebecq

    b) Jan Assmann

    c) Jacques Derrida

    d) Politischer Messianismus und Missionarismus des US-Amerikanismus

    e) 9/11 und die Überlebensfähigkeit und Überlebenswürdigkeit des Westens

    f) Mentaler Neubeginn der Berliner Republik

    g) Metaphysisch-religiöse Verankerung der Europäischen Verfassung

 

III Kritische Analyse

    a) Monarchische Vernunft und monotheistischer Gottesglaube

    b) Grammatik des Glaubens als heilende und rettende Unterscheidung:

    c) Das humanisierende Potential des Mensch gewordenen Gottes

    d) "Allein im Polytheismus liegt das Heil"?

    e) Gerechtfertigtes Vertrauen?

 

IV Postmoderne Träume und ihre Realität in Christus

    a) Verzicht auf monarchische Vernunft als Verzicht auf Vernunft überhaupt?

    b) Verzicht auf "Applaus" als Verzicht auf "Anerkennung" überhaupt?

    c) Verzicht auf Interpretation als Mittel der Selbstbehauptung?

    d) Verzicht auf Selbst-Behauptung um den Preis "lebenslänglicher Enthauptung"?

    e) Verzicht auf Kommunikation und Sozialität als Preis von "Unverwundbarkeit"?

    f) Verzicht auf Sinn der Welt um den Preis ihrer Absurdität?

    g) Verzicht auf Normalität als einzig angemessene Lebensform in einer verrückten Welt?

    h) Verzicht auf Urteile als Preis der Gewaltlosigkeit

 

Schlußappell