Karl-Heim-Gesellschaft: Jahrestagung 2004


 

Peter C. Hägele:

Die moderne Kosmologie

und die Feinabstimmung der Naturkonstanten auf Leben hin


Die erste der drei von Freud formulierten Kränkungen der Menschheit handelt vom Übergang des geozentrischen in das heliozentrische Weltbild: Der Mensch erlebt sich zunehmend als einsam und unbedeutend in einem unermesslich großen Weltall. Diese Kränkung scheint durch neuere Entwicklungen der Kosmologie und durch „anthropische“  Überlegungen überwunden zu sein. Der amerikanische Physiker Dyson formuliert:

„Wenn wir ins Universum hinausblicken und erkennen, wie viele Zufälle in Physik und Astronomie zu unserem Wohle zusammengearbeitet haben, dann scheint es fast, als habe das Universum in einem gewissen Sinne gewusst, dass wir kommen.“ Ist die Welt also doch für den Menschen gemacht?

 

Im Vortrag wird zunächst ein knapper Überblick über den gegenwärtigen Stand der Kosmologie (Standardmodell) gegeben. Offene Fragen und neuere Entwicklungen werden angesprochen. Es wird dann die Bedeutung von Naturkonstanten in den grundlegenden Gesetzen aufgezeigt. Die moderne Astrophysik und Kosmologie ist heute so weit ausgearbeitet, dass sich Fragen vom Typ „Was wäre, wenn...?“ mit naturwissenschaftlichen Argumenten behandeln lassen. Dabei stellt sich heraus, dass bereits geringfügige Veränderungen an den bekannten Naturkonstanten praktisch immer zu einer völlig anderen Geschichte des Kosmos führen würden und dabei kein biologisches Leben entstehen könnte. Dies wird im Vortrag an mehreren Beispielen verdeutlicht. Besonders eindrucksvoll ist die präzis abgestimmte Kernchemie der Kohlenstoffentstehung.

 

Diese offenkundige Feinabstimmung der Naturkonstanten auf Leben hin hat viele  Wissenschaftler ganz unterschiedlicher Weltanschauung erstaunt und zu verschiedenen Deutungen geführt:

 

1.    Die Feinabstimmung wird auf ein Prinzip zurückgeführt: das anthropische Prinzip. Es existiert in unterschiedlich „starken“ Fassungen. Grundsätzlich ist die Einführung von Prinzipien in der Naturwissenschaft legitim und fruchtbar. Die Erklärungskraft des anthropischen Prinzips ist allerdings problematisch und umstritten (siehe Vortrag Dr. B. Suchan!).

2.    Die Feinabstimmung wird rundweg bestritten mit dem Hinweis, dass bei anderen Gesetzen und Naturkonstanten Leben ja auch auf einer anderen als auf Kohlenstoff-Basis entstanden sein könnte. Die biochemischen Fakten sprechen gegen dieses spekulative Argument.

3.    Die Feinabstimmung wird – im Gegensatz zu 2  – als notwendig vorkommend und als verstanden angenommen. Hier wird argumentiert, dass unser Kosmos einer von unendlich vielen mit unterschiedlichen Gesetzen und Konstanten ist. Einer davon – eben der unsrige – hat dann notwendigerweise die gerade passenden Gesetze und Konstanten. Dieses Argument ist weit verbreitet und naheliegend angesichts der Analogie zu den vielen Sonnensystemen und den vielen Galaxien. Es scheint allerdings nicht empirisch testbar zu sein und hat zum Zweck der Erklärung eines einzigen Problems in unserem Kosmos einen doch immensen „Verbrauch“ an Kosmen!

4.    Die Feinabstimmung wird als Hinweis auf noch unbekannte gesetzmäßige Zusammenhänge angesehen. Dies führt zu einem berechtigten und fruchtbaren Arbeitsprogramm. So kann das sog. inflationäre Modell eine bestimmte Feinabstimmung des Standardmodells „wegerklären“. Allerdings braucht dieses Modell selbst feinabgestimmte Konstanten! Damit wird das Problem nicht gelöst, sondern offensichtlich nur verschoben.

5.    Die Feinabstimmung wird als zufällig und nicht weiter erklärungsbedürftig angesehen. Hier muss der Begriff des Zufalls analysiert werden. Kann er etwas erklären? Bei Ereignissen sehr geringer Wahrscheinlichkeit wird „Zufall“ i.a. nicht als Erklärung akzeptiert.

Die Feinabstimmung wird als „Design“ interpretiert: Eine Intelligenz hat den Kosmos geplant und wollte Leben ermöglichen. Die „Intelligent-Design“-Bewegung (Dembski u.a.) versucht, diese Deutung wissenschaftlich zu untermauern. Weitergehend ist die theistische Deutung, die in der Feinabstimmung zwar keinen Gottesbeweis, aber doch einen Hinweis auf den christlichen Schöpfergott sieht. Diese Deutung transzendiert den naturalistischen Erklärungsrahmen. Der Theologe Pannenberg formuliert: „Die Zufälligkeit der Naturkonstanten kann ich als Wahl zu meinen Gunsten deuten.“ Zur Feinabstimmung schreibt er: „Theologische Interpretation darf über diese Feststellung hinausgehen zu der Aussage, dass sich in diesem Sachverhalt die auf die Inkarnation des göttlichen Logos bezogene Ökonomie des göttlichen Schöpfungswerkes bekundet.“