Peter C. Hägele:
Die moderne Kosmologie
und die Feinabstimmung
der Naturkonstanten auf Leben hin
Die erste der drei von Freud
formulierten Kränkungen der Menschheit handelt vom Übergang des
geozentrischen in das heliozentrische Weltbild: Der Mensch erlebt sich
zunehmend als einsam und unbedeutend in einem unermesslich großen Weltall.
Diese Kränkung scheint durch neuere Entwicklungen der Kosmologie und durch
„anthropische“ Überlegungen
überwunden zu sein. Der amerikanische Physiker Dyson formuliert:
„Wenn wir ins Universum hinausblicken und erkennen, wie
viele Zufälle in Physik und Astronomie zu unserem Wohle zusammengearbeitet
haben, dann scheint es fast, als habe das Universum in einem gewissen Sinne
gewusst, dass wir kommen.“ Ist die Welt also doch für den Menschen gemacht?
Im Vortrag wird zunächst ein knapper Überblick über den
gegenwärtigen Stand der Kosmologie (Standardmodell) gegeben. Offene Fragen
und neuere Entwicklungen werden angesprochen. Es wird dann die Bedeutung
von Naturkonstanten in den grundlegenden Gesetzen aufgezeigt. Die moderne
Astrophysik und Kosmologie ist heute so weit ausgearbeitet, dass sich
Fragen vom Typ „Was wäre, wenn...?“ mit naturwissenschaftlichen Argumenten
behandeln lassen. Dabei stellt sich heraus, dass bereits geringfügige
Veränderungen an den bekannten Naturkonstanten praktisch immer zu einer
völlig anderen Geschichte des Kosmos führen würden und dabei kein
biologisches Leben entstehen könnte. Dies wird im Vortrag an mehreren
Beispielen verdeutlicht. Besonders eindrucksvoll ist die präzis abgestimmte
Kernchemie der Kohlenstoffentstehung.
Diese offenkundige Feinabstimmung der Naturkonstanten
auf Leben hin hat viele
Wissenschaftler ganz unterschiedlicher Weltanschauung erstaunt und
zu verschiedenen Deutungen geführt:
1. Die
Feinabstimmung wird auf ein Prinzip zurückgeführt: das anthropische
Prinzip. Es existiert in unterschiedlich „starken“ Fassungen. Grundsätzlich
ist die Einführung von Prinzipien in der Naturwissenschaft legitim und
fruchtbar. Die Erklärungskraft des anthropischen Prinzips ist allerdings
problematisch und umstritten (siehe Vortrag Dr. B. Suchan!).
2. Die
Feinabstimmung wird rundweg bestritten mit dem Hinweis, dass bei anderen
Gesetzen und Naturkonstanten Leben ja auch auf einer anderen als auf
Kohlenstoff-Basis entstanden sein könnte. Die biochemischen Fakten sprechen
gegen dieses spekulative Argument.
3. Die
Feinabstimmung wird – im Gegensatz zu 2
– als notwendig vorkommend und als verstanden angenommen. Hier wird
argumentiert, dass unser Kosmos einer von unendlich vielen mit
unterschiedlichen Gesetzen und Konstanten ist. Einer davon – eben der
unsrige – hat dann notwendigerweise die gerade passenden Gesetze und
Konstanten. Dieses Argument ist weit verbreitet und naheliegend angesichts
der Analogie zu den vielen Sonnensystemen und den vielen Galaxien. Es
scheint allerdings nicht empirisch testbar zu sein und hat zum Zweck der
Erklärung eines einzigen Problems in unserem Kosmos einen doch immensen
„Verbrauch“ an Kosmen!
4. Die
Feinabstimmung wird als Hinweis auf noch unbekannte gesetzmäßige
Zusammenhänge angesehen. Dies führt zu einem berechtigten und fruchtbaren
Arbeitsprogramm. So kann das sog. inflationäre Modell eine bestimmte
Feinabstimmung des Standardmodells „wegerklären“. Allerdings braucht dieses
Modell selbst feinabgestimmte Konstanten! Damit wird das Problem nicht
gelöst, sondern offensichtlich nur verschoben.
5. Die
Feinabstimmung wird als zufällig und nicht weiter erklärungsbedürftig
angesehen. Hier muss der Begriff des Zufalls analysiert werden. Kann er
etwas erklären? Bei Ereignissen sehr geringer Wahrscheinlichkeit wird
„Zufall“ i.a. nicht als Erklärung akzeptiert.
Die Feinabstimmung wird als „Design“
interpretiert: Eine Intelligenz hat den Kosmos geplant und wollte Leben
ermöglichen. Die „Intelligent-Design“-Bewegung (Dembski u.a.) versucht,
diese Deutung wissenschaftlich zu untermauern. Weitergehend ist die
theistische Deutung, die in der Feinabstimmung zwar keinen Gottesbeweis, aber
doch einen Hinweis auf den christlichen Schöpfergott sieht. Diese Deutung
transzendiert den naturalistischen Erklärungsrahmen. Der Theologe
Pannenberg formuliert: „Die Zufälligkeit der Naturkonstanten kann ich als
Wahl zu meinen Gunsten deuten.“ Zur Feinabstimmung schreibt er:
„Theologische Interpretation darf über diese Feststellung hinausgehen zu
der Aussage, dass sich in diesem Sachverhalt die auf die Inkarnation des
göttlichen Logos bezogene Ökonomie des göttlichen Schöpfungswerkes
bekundet.“
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