Paul Richard Blum:
"Das Dach abdichten, damit es nicht ins Haus Gottes regnet"

Rationale Argumente für die Religion in der Renaissance
(Abstract)


Bei den Philosophen der Renaissance ist der Zugang zum Göttlichen zentrales Thema des Philosophierens. Zwar wird Offenbarung einerseits und mystische Betrachtung andererseits nicht abgelehnt, aber das Programm einer christlich zu verstehenden Philosophie wird auf dem Wege der vernünftigen Spekulation angestrebt. Insofern die Denker der Renaissance ausdrückich nach der menschlichen Verortung des Göttlichen, nach dem Sitz im Leben, fragen, machen sie keinen expliziten Unterschied zwischen einer rationalen Theologie und dem dazugehörigen Kultus. Indem sie aber die Natürlichkeit und Humanität des Transzendenten hervorheben, gehören sie mit zur kirchlichen Erneuerung der Reformation und bereiten sie einer individuellen und schließlich subjektiven Frömmigkeit den Weg.

Lorenzo Valla, der die moderne Bibel-Philologie begründete, rechtfertigte sich einmal mit der Behauptung, daß er nicht den Architekten der Bibel ablehne, sondern am liebsten wäre er selber der Baumeister! Gar nichts will er an dem Werk erneuern, sondern nur "das Dach abdichten, damit es nicht reinregnet."

Nicolaus Cusanus bietet in seiner "Docta ignorantia" vernunftkritische Ansätze. Sie ergeben den Menschen, die conditio humana, als Form der Erkenntnis, die in nahezu symmetrischer Weise abbildlich ist zum Schöpfungsakt Gottes. Der Mensch ist ein Abbild Gottes, indem er etwas erkennt. Gott ist zugänglich durch die Parallelität des menschlichen Erkennens mit dem Schöpfungsakt. Und Rationalität der Reflexion ist der legitime Zugang zur Offenbarung. Entscheidend dafür, daß sich das reflektierende Ich keine Chimäre zum Gott macht, ist die kritische Methode der Selbstanalyse, ist das Moment, auf das der Reflektierende seine Aufmerksamkeit richtet.

Marsilio Ficinos Philosophie des Seelenheils stellt den Menschen und seine renaissance-typische "Würde" in die logische Mitte zwischen Gott und Welt. Von da aus muß der Mensch seinen Platz immer neu erfinden. Bezieht der Mensch sich willentlich und erkennend auf sein innerstes Wesen, wendet er sich 'von selbst' zu dem ihn transzendierenden Ursprung.

In Giovanni Pico della Mirandolas berühmter Rede "Über die Würde des Menschen" ist der Mensch Abbild Gottes, indem er wie Gott alles enthält und alles in sich eint, die bildliche sichtbare Präsenz Gottes in der Welt. Aber obwohl der Mensch gottähnlich ist, kann er sich nicht selbst zu Gott wenden, er kann nur durch Gnade umgekehrt und "reflektiert" werden.

Die hier vorgestellten Gedanken aus der Renaissance des 14. und 16. Jahrhunderts behandeln das Verhältnis von wissenschaftlicher Rationalität und Transzendenz in heute noch gültigen Mustern. Denn es ist nicht schwer, die Metaphorik der Renaissancekultur, die von der Präsenz der christlichen Literatur und der antiken Philosophie geprägt war, in heutige Probleme zu übersetzen. Der Grund liegt in Voraussetzungen, die auch heute noch Geltung haben, so die zentrale Frage nach dem Wesen des Menschen und die Frage nach Letztbegründungen. Hier allerdings liegt die Kernfrage, die sich in der modernen Welt stellt: Ist der Mensch wirklich das wichtigste Thema der gegenwärtigen Kultur? Kann diese Frage positiv beantwortet werden, ohne nach dem zu fragen, was den Menschen übersteigt -- oder würde der Mensch selbst aus dem Diskurs gänzlich ausfallen, wenn er sich nicht immer zugleich zum Thema macht?