Karl-Heim-Gesellschaft: Jahrestagung 2004


 

Ulrich Beuttler:

„Denn Zweck der Welt ist der Mensch“ (J. Kepler) –

Das anthropische Prinzip und die christliche Geschichte des Design-Arguments


1.      Das Anthropische Prinzip (AP)

Das AP unterstellt des kosmischen Evolution (a) eine Zielgerichtetheit (b) auf den Menschen hin. Es steht gegen die Kosmologie des 19. u. 20. Jahrhunderts, die dem Kosmos die Sinnhaftigkeit für den Menschen abgesprochen hatte, nimmt aber entscheidende Motive der vormodernen Kosmologie wieder auf, die ebenfalls eine Zielgerichtetheit des Kosmos auf den Menschen hin angenommen und diese naturteleologisch und via teleologischem Gottesbeweis begründet hatte.

 

2.      Antike und mittelalterliche Teleologie und Anthropozentrik

Aristoteles begreift den Kosmos und die Einzelprozesse als zielgerichtete Bewegung mit immanentem Telos. Natur ist nach dem Modell des beseelten Organismus und des handelnden Subjekts gedacht. Natur ist zweckvoll handelnde, poietische Natur.

Die Stoa interpretiert die Teleologie der Natur als Zweckhaftigkeit und Nützlichkeit für den Menschen. Die regelhafte, sinnvolle Ordnung der Naturvorgänge, die Feinabstimmung, verweist auf den vernünftigen, intelligenten Ordner.

Das frühe Christentum setzt den teleologischen Beweis apologetisch ein und sieht in der Naturordnung die göttliche Vorsehung wirksam.

Das christliche Mittelalter begreift die Natur als Teil der Ökonomie Gottes, so dass die zweckvolle Naturordnung auf den Menschen hin der Hinordnung aller Dinge auf Gott als dem Endziel einbegriffen ist.

 

3.      Aufstieg und Verfall der Physikotheologie

Die frühe Neuzeit kämpft mit der Auslagerung der Zwecke aus der Natur durch die aufkommenden kausalen Naturwissenschaften. Dennoch gefährdet die entteleogisierte Natur den teleologischen Gottesbeweis bis ins 18. Jahrhundert nicht, weil die kausal funktionierende Welt im Ganzen weiter teleologisch gedeutet wird: als Uhr oder Maschine, deren harmonische Feinabstimmung per physikotheologischem Analogieschluss nach wie vor den intelligenten Planer und Schöpfer erweist.

Die kritische Aufklärung destruiert den physikotheologischen Gottesbeweis, lässt das Design-Argument aber weiterhin für das reflektierende Urteil (Kant) bzw. für das Gefühl gelten.

Die Mechanistik des 19. Jahrhunderts allerdings erklärt den Kosmos rein kausal, d.h. sinn- und zwecklos, und daher für nichtig und ohne Bedeutung für den Menschen.

 

4.      Das AP in der „entteleologisierten“ und „entanthropozentrierten“ Welt

Welchen Erklärungsstatus kann das AP in der gegenwärtigen Kosmologie haben?

1. Die kausale Naturwissenschaft bedarf (a) der lebensweltlichen Fundierung und (b) der Gesamtinterpretation auf den Menschen hin, soll sie nicht lebensweltlich irrelevant sein. Die Bedeutungs- und Zweckfrage des Kosmos ist unumgänglich.

2. Eine rein kausale Naturerklärung ist nicht möglich; immer werden Zwecke durch die Wahl der Randbedingungen unterstellt. Die drei möglichen Gesamtdeutungen der Welt (Zufall: Atomisten + Naturalisten; immanente Finalität: Aristoteles, Stoa; transzendente Planung: Platon, Christentum) sind nicht gleichwertig. „Zufall“ oder Bedeutungsneutralität der Welt (reines Faktum) bedeutet die Aufgabe von Erklärung und daher das Ende von NW ebenso wie der lebensweltlichen Weltdeutung. Der Mensch ist für die Welt, d.h. für unsere Welt, und daher auch für die Kosmologie konstitutiv, daher das AP unaufgebbar.

 

Texte zur christlichen Geschichte des Design-Arguments

 

1. Das Anthropische Prinzip

„Die Grundeigenschaften des Universums, zu denen u.a. seine Größe, Form, Alter und Gesetzmäßigkeiten zählen, müssen als etwas beobachtet werden, das die Evolution von Beobachtern erlaubt, denn hätte sich in einem ansonsten möglichen Universum kein intelligentes Leben entwickelt, würde offensichtlich niemand die Frage nach der beobachteten Größe, Form, Alter usw. des Universums stellen. Auf den ersten Blick erscheint eine solche Beobachtung wahr, aber trivial. Sie hat jedoch weitreichende   Auswirkungen auf die Physik. Sie ist eine Bekräftigung der Tatsache, dass jede beobachtete Eigenschaft des Universums, die zunächst unwahrscheinlich erscheint, erst dann wirklich als das erkannt werden kann, was sie ist, wenn wir akzeptiert haben, dass bestimmte Eigenschaften des Universums notwendige Voraussetzungen für die Evolution und die Existenz jeglichen Beobachters sind.“ (J.D. Barrow, F. Tipler, The Anthropic Cosmological Argument, Oxford 1986, 1f)

 

„Je länger ich das Universum beobachte und die Einzelheiten seines Aufbaus studiere, desto mehr Anzeichen finde ich, daß das Universum um unser Kommen gewußt haben muß.“ (F. Dyson, Innenansichten, Zürich 1981, 266)

 

2. Aristoteles‘ Naturteleologie

„Gott und die Natur machen nichts ohne Zweck.“ (Aristoteles, cael. 271a)

 

„Nach dem Gesagten ist also Natur im ersten und eigentlichen Sinne die Wesenheit der Dinge, welche das Prinzip der Bewegung in sich selbst haben. Und Natur ist auch das Prinzip der Bewegung der natürlichen Dinge, immanent in den Dingen entweder dem Vermögen oder der wirklichen Tätigkeit nach.“ (Aristoteles, met. V, 4, 1015a)

 

„Von Lebewesen sagen wir: Es bewegt sich selbst. Folglich,wenn es denn zu einer Zeit gänzlich ruht, so wird ja wohl in einem Unbewegten Bewegung entstehen, aus ihm selbst und nicht von außen. Wenn das aber an einem Lebewesen geschehen kann, was hindert die Annahme, daß das gleiche sich ereignen kann auch bezüglich des All? Wenn es doch in der kleinen Ordnung (en mikro kosmo) geschieht, so auch in der großen.“ (Aristoteles, phys. VIII, 2, 252b; vgl. Platon, Tim. 30 b: Kosmos als beseeltes und vernünftiges Lebewesen (kosmos zoon empsychon ennoun))

 

3. Stoische Zweckhaftigkeit und Anthropozentrik der Welt

„Sicherlich ist von allen Dingen nichts besser als die Welt (mundus), nichts vorzüglicher, nichts schöner, und es gibt nicht nur nichts Besseres, sondern man kann sich auch nichts Besseres vorstellen. Und wenn es nichts Besseres gibt als Vernunft und Weisheit, muß sich beides in dem befinden, was wir als das Beste anerkennen. ... Könnte die Erde denn sonst zu einer bestimmten Zeit in Blüte stehen und dann wieder vor Kälte erstarren oder könnte man sonst, da sich so viele Dinge ihrer Natur gemäß in einer dauernden Umwandlung befinden, die höhere und die tiefere Bahn der Sonne zur Zeit der Sommer- und Wintersonnwende feststellen ... oder die Planeten, obwohl der ganze Himmel in sich nur eine einzige Drehung vollführt, trotzdem noch untereinander verschiedene Bahnen behalten? Diese Vorgänge könnten in einer solchen Harmonie aller Teile des Weltalls selbstverständlich nicht geschehen, wenn sie eben nicht durch einen einzigen göttlichen und ununterbrochen tätigen Geist in Gang gehalten würden ... Daraus aber wird sich folgern lassen, daß das Weltall Gott ist (esse mundum deum).“ (Zenon nach Cicero, de nat. deorum II, 18f.21)

 

„Kann denn ein vernünftiger Mensch glauben, diese ganze Anordnung der Gestirne und dieser großartige Schmuck des Himmels seien dadurch entstanden, daß Atome zufällig und planlos in unterschiedliche Richtungen treiben? Oder war etwa ein anderes intelligenz- und vernunftloses Wesen imstande, Dinge zu schaffen, für deren Schöpfung es nicht nur einer planenden Vernunft bedurfte, sondern deren Eigenschaften sich auch ohne ein Höchstmaß an Vernunft nicht einmal begreifen lassen? ... So führt dann von allen Seiten jede vernünftige Überlegung zu dem Schluß, daß zum Wohle und zur Erhaltung aller Geschöpfe über allem auf dieser Welt göttlicher Geist und göttliche Planung in wunderbarer Weise waltet. Sollte jedoch jemand wissen wollen, zu wessen Gunsten so gewaltige Dinge ins Werk gesetzt wurden – etwa für die Bäume und Kräuter? Das wäre doch absurd. Oder für die Tiere? Ebenso unwahrscheinlich. In wessen Interesse also wurde, so könnte einer fragen, die Welt erschaffen? Selbstverständlich doch für die Lebewesen, die Vernunft besitzen; das sind die Götter und Menschen ... Die Welt und alles, was in ihr ist, wurde um der Götter und Menschen willen geschaffen.“ (Cicero, de nat. deorum II, 115.132f)

 

4. Christlich-apologetischer Gottesbeweis

„Es wird an der Größe und Schönheit der Geschöpfe ihr Schöpfer wie in einem Bild erkannt.“ (Sap. 13,5; vgl. Röm 1,20)

 

„Um so mehr scheinen mir Leute, die glauben können, daß dieser ganze kunstreiche Weltenbau nicht nach göttlichem Plan vollendet, sondern aus irgendwelchen planlos aneinanderhängenden Brocken zusammengeballt sei, weder Sinn noch Verstand, ja noch nicht einmal Augen im Kopf zu haben.“ (Minucius Felix, Octavius 17,3)

 

„Frage die Welt, die Schönheit des Himmels, das Leuchten und die Ordnung der Gestirne, die Sonne des Tages und den Mond, den Frost der Nacht, frage die Erde, fruchtbar an Bäumen und Pflanzen, bevölkert mit Tieren aller Art, geschmückt und ausgestatten für den Menschen, das Meer mit der Fülle seiner Wesen, frage dies alles und sieh, ob nicht jedes in seinem Sinne und nach seiner Art dir antworten wird: Gott hat uns gemacht. Dies haben hochgesinnte Philosophen gefragt, und sie haben aus dem Kunstwerk der Welt den göttlichen Künstler erkannt.“ (Augustinus, Sermo 141,2)

 

5. Thomas von Aquins teleologischer Ordo auf Gott und den Menschen hin

„Diejenigen Dinge, die kein Ziel kennen, bewegen sich nicht auf ein Ziel zu, außer wenn sie von einem Denkenden geleitet sind, wie der Pfeil vom Bogenschützen geleitet wird. Wenn also die Natur nach einem Ziel strebt, dann ist es notwendig, daß sie von einem vernünftig Erkennenden daraufhin geordnet wird.“ (Thomas, Komm. zu Aristoteles‘ Physik II, 12 in: op. omnia Bd. 2, 90; vgl. der fünfte Weg ex gubernatione rerum, Sth I, q 2, a3)

„Da nun alles von Gott auf das Gute hingeordnet und gelenkt ist, und zwar so, dass einem jeglichen das Prinzip innewohnt, durch das es auf das Gute ausgreift, gleichsam sein Gut verlangend, muß gesagt werden, daß alles naturhaft das Gute erstrebt.“ (De veritate, in: op. omnia Bd. 2, 613)

 

6. Naturteleologie und physikotheologischer Gottesbeweis der Frühaufklärung

„Ich will auf physico-theologische Weise versuchen, das würckliche Wesen Gottes und seine Eigenschaften zu beweisen ... Da alle Dinge in der Welt so eingerichtet sind, daß sie nicht nützlicher und schöner seyn könnten, so laßt uns doch suchen, ob sie von ohngefähr so worden, oder ob sie so beschaffen sind, daß sie ohnmöglich ohne einen weisen Regierer und ohne göttliche Vorsorge in dem Stande seyn könnten.“ (W. Derham, Physicotheologie oder Natur-Leitung zu Gott, Durch aufmercksame Betrachtung der Erd-Kugel und der darauf sich befindenden Creaturen zum augenscheinlichen Beweiß daß ein Gott, und derselbige ein Allergütigstes, Allweises, Allmächtiges Wesen sey, Hamburg 1730)

 

„Die Hauptabsicht der Welt sey die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes, das ist, daß Gott die Welt deswegen hervorzubringen beschlossen, auch nach seinem Rathschluß würcklich hervorgebracht, damit man seine Vollkommenheiten daraus erkennen möge. ... Unter allen lebenden Geschöpfen ist allein der Mensch der Gott aus sich und den übrigen Geschöpfen erkennen kann. Derowegen ist er auch die einige sichtbare Creatur auf dem Erdboden dadurch Gott seine Haupt-Absicht erreichen kann, warum er die Welt gemacht ... nämlich ihn erkennen und als einen Gott ehren. ... Soweit kann man sagen, daß alles um des Menschen willen ist, der Mensch aber dazu da ist, Gott zu ehren.“ (C. Wolff, Vernünftige Gedancken von den Absichten der natürlichen Dinge, Halle 1724, 2.490-492)

 

„Die Welt ist eine Maschine. Der Beweis ist nicht schwer. Eine Maschine ist ein zusammengesetztes Werk, dessen Bewegungen in der Art der Zusammensetzung begründet sind. Die Welt ist gleichfalls ein zusammengesetztes Ding, dessen Veränderungen in der Art der Zusammensetzung gegründet sind. Und demnach ist die Welt eine Maschine. ...

Die Welt und alles, was darinnen ist, sind um ihres Wesens willen Gottes Mittel, dadurch er seine Absichten ausführt. Ihr Wesen aber macht sie zu Maschinen, und demnach sind die Welt und alle, was darinnen ist, Gottes Mittel, dadurch er seine Absichten ausführt, weil sie Maschinen sind. Woraus erhellt, daß sie dadurch der Werk der Weisheit Gottes werden, weil sie Maschinen sind.“ (C. Wolff, Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele, Frankfurt 1733, § 557.1037)

 

7. Recht und Grenze der teleologischen Naturbetrachtung und des physikotheologischen Analogieschlusses

„Blick dich um in diesem Universum: Welch ein enormer Reichtum an Wesen. Du bewunderst diese ungeheure Vielfalt und Produktivität. Doch betrachte diese lebenden Wesen näher. Wie feindlich und zerstörerisch verhalten sie sich zueinander! Wie unzureichend sind sie alle für ihr eigenes Glück. ... Das Ganze bietet nichts anderes als das Bild einer blinden Natur, die, von einem gewaltigen lebensspendenden Prinzip befruchtet, ihre verkrüppelten und lebensuntüchtigen Kinder ohne Überlegung oder elterliche Fürsorge aus ihrem Schoß entläßt.“ (D. Hume, Dialoge über natürlichen Religion, PhB)

 

„Wenn wir ein Haus sehen, schließen wir mit der größten Gewißheit , daß es einen Architekten oder Erbauer hatte, weil dies genau die Art der Wirkung ist, die nach unserer Erfahrung von dieser Art der Ursache hervorgebracht wird. Aber sicher wollt ihr nicht behaupten, das Universum habe solche Ähnlichkeit mit einem Hause, daß wir mit derselben Gewißheit auf eine ähnliche Ursache schließen können, oder hier sei die Analogie vollkommen. Die Unähnlichkeit springt so in die Augen.“ (Hume, a.a.O., 21; vgl. Kants Widerlegung des Analogieschlusses, da der analoge Schluß von der Wirkung auf die Ursache ein ähnliches Ursache-Wirkungs-Verhältnis fordert, das, da weder das Ganze der Natur noch ihr Urheber empirisch zugänglich sind, nicht aus der Erfahrung verifiziert werden kann, KrV 648-658; wenn wir auch einen Naturzweck aus kausal-objektiver Naturbeobachtung weder bejahen noch verneinen können, so ist diese Annahme doch für die reflektierende Urteilskraft unentbehrlich und für die Betrachtung der Natur als Ganze überaus nützlich, KU § 75)

 

„Den teleologischen Beweis vom Dasein Gottes hat die kritische Vernunft beseitigt; wir lassen es uns gefallen. Was aber nicht als Beweis gilt, soll uns als Gefühlt gelten. ... Sollten wir nicht im Blitz, Donner und Sturm nicht die Nähe einer allgewaltigen Macht empfinden dürfen?“ (Goethe, Maximen und Reflexionen 9, Hamb. Ausg. 12, 365f)