Ulrich Beuttler:
„Denn Zweck der Welt ist
der Mensch“ (J. Kepler) –
Das anthropische Prinzip
und die christliche Geschichte des Design-Arguments
1.
Das Anthropische
Prinzip (AP)
Das AP unterstellt des kosmischen Evolution (a) eine
Zielgerichtetheit (b) auf den Menschen hin. Es steht gegen die Kosmologie
des 19. u. 20. Jahrhunderts, die dem Kosmos die Sinnhaftigkeit für den
Menschen abgesprochen hatte, nimmt aber entscheidende Motive der
vormodernen Kosmologie wieder auf, die ebenfalls eine Zielgerichtetheit des
Kosmos auf den Menschen hin angenommen und diese naturteleologisch und via
teleologischem Gottesbeweis begründet hatte.
2.
Antike und mittelalterliche
Teleologie und Anthropozentrik
Aristoteles begreift den Kosmos und die Einzelprozesse
als zielgerichtete Bewegung mit immanentem Telos. Natur ist nach dem Modell
des beseelten Organismus und des handelnden Subjekts gedacht. Natur ist
zweckvoll handelnde, poietische Natur.
Die Stoa interpretiert die Teleologie der Natur als
Zweckhaftigkeit und Nützlichkeit für den Menschen. Die regelhafte,
sinnvolle Ordnung der Naturvorgänge, die Feinabstimmung, verweist auf den
vernünftigen, intelligenten Ordner.
Das frühe Christentum setzt den teleologischen Beweis
apologetisch ein und sieht in der Naturordnung die göttliche Vorsehung
wirksam.
Das christliche Mittelalter begreift die Natur als Teil
der Ökonomie Gottes, so dass die zweckvolle Naturordnung auf den Menschen
hin der Hinordnung aller Dinge auf Gott als dem Endziel einbegriffen ist.
3.
Aufstieg und
Verfall der Physikotheologie
Die frühe Neuzeit kämpft mit der Auslagerung der Zwecke
aus der Natur durch die aufkommenden kausalen Naturwissenschaften. Dennoch
gefährdet die entteleogisierte Natur den teleologischen Gottesbeweis bis
ins 18. Jahrhundert nicht, weil die kausal funktionierende Welt im Ganzen
weiter teleologisch gedeutet wird: als Uhr oder Maschine, deren harmonische
Feinabstimmung per physikotheologischem Analogieschluss nach wie vor den
intelligenten Planer und Schöpfer erweist.
Die kritische Aufklärung destruiert den
physikotheologischen Gottesbeweis, lässt das Design-Argument aber weiterhin
für das reflektierende Urteil (Kant) bzw. für das Gefühl gelten.
Die Mechanistik des 19. Jahrhunderts allerdings erklärt
den Kosmos rein kausal, d.h. sinn- und zwecklos, und daher für nichtig und
ohne Bedeutung für den Menschen.
4.
Das AP in der
„entteleologisierten“ und „entanthropozentrierten“ Welt
Welchen Erklärungsstatus kann das AP in der
gegenwärtigen Kosmologie haben?
1. Die kausale Naturwissenschaft bedarf (a) der
lebensweltlichen Fundierung und (b) der Gesamtinterpretation auf den
Menschen hin, soll sie nicht lebensweltlich irrelevant sein. Die Bedeutungs-
und Zweckfrage des Kosmos ist unumgänglich.
2. Eine rein kausale Naturerklärung ist nicht möglich; immer werden
Zwecke durch die Wahl der Randbedingungen unterstellt. Die drei möglichen
Gesamtdeutungen der Welt (Zufall: Atomisten + Naturalisten; immanente
Finalität: Aristoteles, Stoa; transzendente Planung: Platon, Christentum)
sind nicht gleichwertig. „Zufall“ oder Bedeutungsneutralität der Welt
(reines Faktum) bedeutet die Aufgabe von Erklärung und daher das Ende von
NW ebenso wie der lebensweltlichen Weltdeutung. Der Mensch ist für die
Welt, d.h. für unsere Welt, und
daher auch für die Kosmologie konstitutiv, daher das AP unaufgebbar.
Texte zur christlichen Geschichte des Design-Arguments
1. Das
Anthropische Prinzip
„Die
Grundeigenschaften des Universums, zu denen u.a. seine Größe, Form, Alter
und Gesetzmäßigkeiten zählen, müssen als etwas beobachtet werden, das die Evolution von Beobachtern erlaubt,
denn hätte sich in einem ansonsten möglichen Universum kein intelligentes
Leben entwickelt, würde offensichtlich niemand die Frage nach der
beobachteten Größe, Form, Alter usw. des Universums stellen. Auf den ersten
Blick erscheint eine solche Beobachtung wahr, aber trivial. Sie hat jedoch
weitreichende Auswirkungen auf die
Physik. Sie ist eine Bekräftigung der Tatsache, dass jede beobachtete
Eigenschaft des Universums, die zunächst unwahrscheinlich erscheint, erst
dann wirklich als das erkannt werden kann, was sie ist, wenn wir akzeptiert
haben, dass bestimmte Eigenschaften des Universums notwendige
Voraussetzungen für die Evolution und die Existenz jeglichen Beobachters
sind.“ (J.D. Barrow, F. Tipler, The Anthropic
Cosmological Argument, Oxford 1986, 1f)
„Je
länger ich das Universum beobachte und die Einzelheiten seines Aufbaus studiere,
desto mehr Anzeichen finde ich, daß das Universum um unser Kommen gewußt
haben muß.“ (F. Dyson, Innenansichten, Zürich 1981, 266)
2. Aristoteles‘
Naturteleologie
„Gott
und die Natur machen nichts ohne Zweck.“ (Aristoteles,
cael. 271a)
„Nach
dem Gesagten ist also Natur im ersten und eigentlichen Sinne die Wesenheit
der Dinge, welche das Prinzip der Bewegung in sich selbst haben. Und Natur
ist auch das Prinzip der Bewegung der natürlichen Dinge, immanent in den
Dingen entweder dem Vermögen oder der wirklichen Tätigkeit nach.“ (Aristoteles, met. V, 4, 1015a)
„Von
Lebewesen sagen wir: Es bewegt sich selbst. Folglich,wenn es denn zu einer
Zeit gänzlich ruht, so wird ja wohl in einem Unbewegten Bewegung entstehen,
aus ihm selbst und nicht von außen. Wenn das aber an einem Lebewesen
geschehen kann, was hindert die Annahme, daß das gleiche sich ereignen kann
auch bezüglich des All? Wenn es doch in der kleinen Ordnung (en mikro
kosmo) geschieht, so auch in der großen.“ (Aristoteles, phys. VIII, 2,
252b; vgl. Platon, Tim. 30 b: Kosmos als beseeltes und vernünftiges
Lebewesen (kosmos zoon empsychon ennoun))
3. Stoische
Zweckhaftigkeit und Anthropozentrik der Welt
„Sicherlich
ist von allen Dingen nichts besser als die Welt (mundus), nichts
vorzüglicher, nichts schöner, und es gibt nicht nur nichts Besseres,
sondern man kann sich auch nichts Besseres vorstellen. Und wenn es nichts
Besseres gibt als Vernunft und Weisheit, muß sich beides in dem befinden,
was wir als das Beste anerkennen. ... Könnte die Erde denn sonst zu einer
bestimmten Zeit in Blüte stehen und dann wieder vor Kälte erstarren oder
könnte man sonst, da sich so viele Dinge ihrer Natur gemäß in einer
dauernden Umwandlung befinden, die höhere und die tiefere Bahn der Sonne
zur Zeit der Sommer- und Wintersonnwende feststellen ... oder die Planeten,
obwohl der ganze Himmel in sich nur eine einzige Drehung vollführt,
trotzdem noch untereinander verschiedene Bahnen behalten? Diese Vorgänge
könnten in einer solchen Harmonie aller Teile des Weltalls selbstverständlich
nicht geschehen, wenn sie eben nicht durch einen einzigen göttlichen und
ununterbrochen tätigen Geist in Gang gehalten würden ... Daraus aber wird
sich folgern lassen, daß das Weltall Gott ist (esse mundum deum).“ (Zenon
nach Cicero, de nat. deorum II, 18f.21)
„Kann
denn ein vernünftiger Mensch glauben, diese ganze Anordnung der Gestirne
und dieser großartige Schmuck des Himmels seien dadurch entstanden, daß
Atome zufällig und planlos in unterschiedliche Richtungen treiben? Oder war
etwa ein anderes intelligenz- und vernunftloses Wesen imstande, Dinge zu
schaffen, für deren Schöpfung es nicht nur einer planenden Vernunft
bedurfte, sondern deren Eigenschaften sich auch ohne ein Höchstmaß an
Vernunft nicht einmal begreifen lassen? ... So führt dann von allen Seiten
jede vernünftige Überlegung zu dem Schluß, daß zum Wohle und zur Erhaltung
aller Geschöpfe über allem auf dieser Welt göttlicher Geist und göttliche
Planung in wunderbarer Weise waltet. Sollte jedoch jemand wissen wollen, zu
wessen Gunsten so gewaltige Dinge ins Werk gesetzt wurden – etwa für die
Bäume und Kräuter? Das wäre doch absurd. Oder für die Tiere? Ebenso
unwahrscheinlich. In wessen Interesse also wurde, so könnte einer fragen,
die Welt erschaffen? Selbstverständlich doch für die Lebewesen, die
Vernunft besitzen; das sind die Götter und Menschen ... Die Welt und alles,
was in ihr ist, wurde um der Götter und Menschen willen geschaffen.“
(Cicero, de nat. deorum II, 115.132f)
4.
Christlich-apologetischer Gottesbeweis
„Es
wird an der Größe und Schönheit der Geschöpfe ihr Schöpfer wie in einem
Bild erkannt.“ (Sap. 13,5; vgl. Röm 1,20)
„Um
so mehr scheinen mir Leute, die glauben können, daß dieser ganze
kunstreiche Weltenbau nicht nach göttlichem Plan vollendet, sondern aus
irgendwelchen planlos aneinanderhängenden Brocken zusammengeballt sei,
weder Sinn noch Verstand, ja noch nicht einmal Augen im Kopf zu haben.“
(Minucius Felix, Octavius 17,3)
„Frage
die Welt, die Schönheit des Himmels, das Leuchten und die Ordnung der
Gestirne, die Sonne des Tages und den Mond, den Frost der Nacht, frage die
Erde, fruchtbar an Bäumen und Pflanzen, bevölkert mit Tieren aller Art,
geschmückt und ausgestatten für den Menschen, das Meer mit der Fülle seiner
Wesen, frage dies alles und sieh, ob nicht jedes in seinem Sinne und nach
seiner Art dir antworten wird: Gott hat uns gemacht. Dies haben
hochgesinnte Philosophen gefragt, und sie haben aus dem Kunstwerk der Welt
den göttlichen Künstler erkannt.“ (Augustinus, Sermo 141,2)
5. Thomas von Aquins teleologischer Ordo auf Gott und
den Menschen hin
„Diejenigen
Dinge, die kein Ziel kennen, bewegen sich nicht auf ein Ziel zu, außer wenn
sie von einem Denkenden geleitet sind, wie der Pfeil vom Bogenschützen
geleitet wird. Wenn also die Natur nach einem Ziel strebt, dann ist es
notwendig, daß sie von einem vernünftig Erkennenden daraufhin geordnet
wird.“ (Thomas, Komm. zu Aristoteles‘ Physik II, 12 in: op. omnia Bd. 2,
90; vgl. der fünfte Weg ex gubernatione rerum, Sth I, q 2, a3)
„Da
nun alles von Gott auf das Gute hingeordnet und gelenkt ist, und zwar so,
dass einem jeglichen das Prinzip innewohnt, durch das es auf das Gute
ausgreift, gleichsam sein Gut verlangend, muß gesagt werden, daß alles
naturhaft das Gute erstrebt.“ (De veritate, in: op. omnia
Bd. 2, 613)
6.
Naturteleologie und physikotheologischer Gottesbeweis der Frühaufklärung
„Ich
will auf physico-theologische Weise versuchen, das würckliche Wesen Gottes
und seine Eigenschaften zu beweisen ... Da alle Dinge in der Welt so
eingerichtet sind, daß sie nicht nützlicher und schöner seyn könnten, so
laßt uns doch suchen, ob sie von ohngefähr so worden, oder ob sie so
beschaffen sind, daß sie ohnmöglich ohne einen weisen Regierer und ohne
göttliche Vorsorge in dem Stande seyn könnten.“ (W. Derham, Physicotheologie
oder Natur-Leitung zu Gott, Durch aufmercksame Betrachtung der Erd-Kugel
und der darauf sich befindenden Creaturen zum augenscheinlichen Beweiß daß
ein Gott, und derselbige ein Allergütigstes, Allweises, Allmächtiges Wesen
sey, Hamburg 1730)
„Die
Hauptabsicht der Welt sey die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes, das ist,
daß Gott die Welt deswegen hervorzubringen beschlossen, auch nach seinem
Rathschluß würcklich hervorgebracht, damit man seine Vollkommenheiten
daraus erkennen möge. ... Unter allen lebenden Geschöpfen ist allein der
Mensch der Gott aus sich und den übrigen Geschöpfen erkennen kann.
Derowegen ist er auch die einige sichtbare Creatur auf dem Erdboden dadurch
Gott seine Haupt-Absicht erreichen kann, warum er die Welt gemacht ... nämlich
ihn erkennen und als einen Gott ehren. ... Soweit kann man sagen, daß alles
um des Menschen willen ist, der Mensch aber dazu da ist, Gott zu ehren.“
(C. Wolff, Vernünftige Gedancken von den Absichten der natürlichen Dinge,
Halle 1724, 2.490-492)
„Die
Welt ist eine Maschine. Der Beweis ist nicht schwer. Eine Maschine ist ein
zusammengesetztes Werk, dessen Bewegungen in der Art der Zusammensetzung
begründet sind. Die Welt ist gleichfalls ein zusammengesetztes Ding, dessen
Veränderungen in der Art der Zusammensetzung gegründet sind. Und demnach
ist die Welt eine Maschine. ...
Die
Welt und alles, was darinnen ist, sind um ihres Wesens willen Gottes
Mittel, dadurch er seine Absichten ausführt. Ihr Wesen aber macht sie zu
Maschinen, und demnach sind die Welt und alle, was darinnen ist, Gottes
Mittel, dadurch er seine Absichten ausführt, weil sie Maschinen sind.
Woraus erhellt, daß sie dadurch der Werk der Weisheit Gottes werden, weil
sie Maschinen sind.“ (C. Wolff, Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und
der Seele, Frankfurt 1733, § 557.1037)
7. Recht und Grenze der teleologischen
Naturbetrachtung und des physikotheologischen Analogieschlusses
„Blick
dich um in diesem Universum: Welch ein enormer Reichtum an Wesen. Du
bewunderst diese ungeheure Vielfalt und Produktivität. Doch betrachte diese
lebenden Wesen näher. Wie feindlich und zerstörerisch verhalten sie sich
zueinander! Wie unzureichend sind sie alle für ihr eigenes Glück. ... Das
Ganze bietet nichts anderes als das Bild einer blinden Natur, die, von einem
gewaltigen lebensspendenden Prinzip befruchtet, ihre verkrüppelten und
lebensuntüchtigen Kinder ohne Überlegung oder elterliche Fürsorge aus ihrem
Schoß entläßt.“ (D. Hume, Dialoge über natürlichen Religion, PhB)
„Wenn
wir ein Haus sehen, schließen wir mit der größten Gewißheit , daß es einen
Architekten oder Erbauer hatte, weil dies genau die Art der Wirkung ist,
die nach unserer Erfahrung von dieser Art der Ursache hervorgebracht wird.
Aber sicher wollt ihr nicht behaupten, das Universum habe solche Ähnlichkeit
mit einem Hause, daß wir mit derselben Gewißheit auf eine ähnliche Ursache
schließen können, oder hier sei die Analogie vollkommen. Die Unähnlichkeit
springt so in die Augen.“ (Hume, a.a.O., 21; vgl. Kants Widerlegung des
Analogieschlusses, da der analoge Schluß von der Wirkung auf die Ursache
ein ähnliches Ursache-Wirkungs-Verhältnis fordert, das, da weder das Ganze
der Natur noch ihr Urheber empirisch zugänglich sind, nicht aus der
Erfahrung verifiziert werden kann, KrV 648-658; wenn wir auch einen
Naturzweck aus kausal-objektiver Naturbeobachtung weder bejahen noch
verneinen können, so ist diese Annahme doch für die reflektierende
Urteilskraft unentbehrlich und für die Betrachtung der Natur als Ganze
überaus nützlich, KU § 75)
„Den
teleologischen Beweis vom Dasein Gottes hat die kritische Vernunft
beseitigt; wir lassen es uns gefallen. Was aber nicht als Beweis gilt, soll
uns als Gefühlt gelten. ... Sollten wir nicht im Blitz, Donner und Sturm
nicht die Nähe einer allgewaltigen Macht empfinden dürfen?“ (Goethe,
Maximen und Reflexionen 9, Hamb. Ausg. 12, 365f)
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